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7 Retrospektiven in Action für lebendigeres und intensiveres Zurückschauen

Retrospektiven in Action

(Remote) Facilitation in Action, Teil 2

Die agile Szene hat eine lange existierende Verbindung zu spielerischen und erlebnisorientierten Ansätzen. Vor allem bei der Einführung agiler Prinzipien sowie in der Sprint-Planung kommen spielerische Elemente zum Einsatz. Über das Ball Point Game lernen viele Menschen erstmals Scrum-Prinzipien kennen. Über die Marshmallow-Challenge werden Design-Thinking-Prinzipien erlebbar. Übungen aus dem Impro-Theater helfen beim Umgang mit Ungewissheit. Planning-Poker-Karten kommen beim Schätzen von Aufwänden im Sprint-Planning zum Einsatz. Bei den regelmäßig stattfindenden Retrospektiven sind spielerische und erlebnisorientierte Ansätze noch unterrepräsentiert. Mit diesem zweiten Teil der Reihe „(Remote) Facilitation in Action“ möchten wir sieben Möglichkeiten vorstellen, wie Aktionsmethoden Retrospektiven bereichern können. Damit wollen wir auch Scrum Master und Agile Coaches für Soziodrama, Playback Theater, Social Presencing Theater und Aktionsmethoden begeistern, sich intensiver mit Aktionsmethoden als Facilitation-Ansatz zu beschäftigen. Hier findest Du Teil 1 und hier Teil 3 der Artikelserie.

Warum Retrospektiven?

Regelmäßiges Zurückschauen und Reflektieren des eigenen Handelns, der Muster, Hypothesen und dessen Folgen sind in komplexen Umgebungen vermutlich die wichtigste Form des Lernens. Das gilt für Individuen genauso wie für Teams, Organisationen oder Communitys. Je weniger zentralplanerisch und je stärker iterativ-zyklisch (sprich agil) das Neue in die Welt kommt, desto wichtiger werden Reviews und Retrospektiven. Während sich Reviews vor allem auf die Ergebnisseite (das “Was?”) konzentrieren, legen Retrospektiven den Fokus auf die gemeinsame Zusammenarbeit im vergangenen Zyklus (das “Wie?”). Auch wir setzen in der Begleitung von Transformationsprozessen stark auf ein iterativ-zyklisches Vorgehen und haben es daher regelmäßig mit Retros zu tun. Wir haben vor einiger Zeit schon mal über Retros im Allgemeinen und das Tool “Retrograph” im Speziellen geschrieben.

Aktionsmethoden? Was sind das eigentlich?

Aktionsmethoden bezeichnen eine Vielzahl von Facilitation-Ansätzen bei der die Teilnehmenden ein Thema spielerisch und erlebnisorientiert erkunden. Darunter fallen Methoden wie Soziodrama, Psychodrama, Soziometrie, Theater der Unterdrückten, Playback Theater, systemische Aufstellungen, Social Presencing Theater oder Applied Improv. Aber auch Lego Serious Play gehört in den erweiterten Dunstkreis von Aktionsmethoden. In der Regel folgen sie einer Logik von (1) Warm-Up, (2) Aktionsphase, (3) Reflexion, (4) Transfer und einem (5) Abschluss. Das entspricht 1:1 den fünf Phasen einer Retrospektive.

Retrospektiven-PhasenAktionsmethoden-Phasen
1.Set the stageWarm-Up
2.Gather dataAktionsphase
3.Generate InsightsSharing
4.Define actionsTransfer
5.ClosingAbschluss

Anders als das „Set the stage“ ist ein Warm-Up bei Aktionsmethoden nicht nur inhaltlich ausgelegt, sondern kann auch dazu genutzt werden spielerische Zugänge einzuführen oder soziometrisch Beziehungen zu klären. Anders als bei „Gather data“ dient die Aktionsphase nicht nur dazu, ein System oder Feld mit seinen Wechselwirkungen zu erkunden, sondern es lassen sich auch Lösungsideen verproben. Im Gegensatz zu herkömmlicher Facilitation arbeiten Aktionsmethoden erlebnisorientiert und verzichten im Warm-Up und der Aktionsphase weitgehend auf eine Verschriftlichung. Wenn ihr Ergebnisse schriftlich festhalten wollt, eignet sich dafür die Transferphase (und teilweise auch das Sharing). Den Abschluss habe ich in diesem Artikel weitgehend rausgelassen. In Teil 1 dieser Serie finden sich mit „Once upon a time“ und dem „Vorhang“ zwei Beispiele für einen schönen Abschluss.

Wenn du (Remote) Retrospektiven mit Aktionsmethoden kennenlernen und ausprobieren willst, schau doch mal unser Training bei Jensen und Komplizen dazu im Dezember 2021 an.

Retrospektiven in Action: The Moment that happened

Drei Schwierigkeitsgrade für Retrospektiven in Action

In diesem Artikel möchte ich sieben sehr unterschiedliche Wege vorstellen, wie Aktionsmethoden Retrospektiven lebendiger machen und das gemeinsame Lernen für alle Arten von Teams intensivieren. Dabei ist es nicht unser Anspruch, fertige Rezepte zum Nachkochen zu beschreiben. So funktionieren Aktionsmethoden nun mal nicht. Vielmehr wollen wir Ideen vermitteln, wie man mit Aktionsmethoden in festen Formaten wie Retrospektiven arbeiten kann – virtuell wie physisch. 

Die hier vorgestellten Retrospektiven in Action sind sehr unterschiedlich anspruchsvoll in der Leitung. Die erste Retrospektive hat durchaus Rezept-Charakter und soll zum Nachahmen anregen. Die zweite, dritte und vierte Retro eignen sich für erfahrene Facilitator*innen. Sie erfordern mehr Gespür für den Gruppenprozess und Gestaltungsinitiativen seitens der Leitung. Für die Retros auf Basis von Playback Theater und Social Presencing Theater scheinen mir praktische Erfahrungen in diesen Methoden unabdingbar. 

A. Retrospektiven in Action: auf Basis von Soziodrama

Im Soziodrama werden zentrale Aspekte eines Themas als Rollen vergeben und gespielt. Dabei können Rollen sozial, dinglich oder abstrakt sein. Es können Akteure, Aktanten (nichtmenschliche Akteure) oder auch Werte auf die Bühne kommen. Teilnehmer*innen, die eine Rolle einnehmen, sprechen aus der Ich-Perspektive dieser Rolle und mit einer aufrichtigen und ehrlichen Haltung, die frei von Ironie oder Zynismus ist. Dabei gelten das Freiwilligkeits- und das Exitprinzip: niemand muss eine Rolle einnehmen, die er oder sie nicht einnehmen will. Wer eine Rolle nicht mehr einnehmen möchte, darf diese auch wieder verlassen. Meistens können Teilnehmer*innen auch frei weitere Rollen kreieren oder Rollen per Abklatschen von anderen übernehmen (Tagging).

Retrospektiven in Action: Sociodrama in a Changing World

1. Die Retrospektive mit dem leeren Stuhl

Die wohl einfachste und unkomplizierteste Art eine Retrospektive in Action durchzuführen, ist die Kombination aus Empathy Circle und Leerem Stuhl wie im ersten Teil von „(Remote) Facilitation in Action“ beschrieben. Sie lässt sich super auch ganz spontan durchführen.

In der Aktionsphase (2) wird lediglich ein leerer Stuhl in die Mitte oder nach vorne gestellt. Dabei repräsentiert der Stuhl das Team im letzten Sprint. Zunächst stellen die Teilnehmenden Fragen aus der Ich-Perspektive an den Team-Stuhl wie z.B. 

  • Wer bin ich als Team?
  • Wie gings mir als Team im letzten Sprint?
  • Was habe ich als Team im letzten Sprint gelernt?
  • Worauf bin ich als Team gerade so richtig stolz?
  • Worüber rede ich als Team nicht so gern?
  • Was hat mich als Team im letzten Sprint überrascht?
  • Was hat mich als Team zuletzt richtig glücklich gemacht?
  • Wie fokussiert bin ich als Team?
  • Welches Commitment habe ich als Team?
  • Welchen Zusammenhalt habe ich als Team?

Anschließend stellen sich Teilnehmende hinter den Stuhl und sprechen aus der Rolle des Teams in der Ich-Perspektive über den vergangenen Zyklus. Dem folgt dann eine Diskussion der Learnings (3), eine Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen (4) sowie der Abschluss (5).

Prima lässt sich diese Retro mit soziometrischen Aufstellungen als Warm-Up (1) beginnen – am besten mit Thesen oder Fragen, die gut polarisieren und unterschiedlichste Meinungen hervorbringen. 

  • Wie hast Du die Zusammenarbeit im Team im letzten Sprint empfunden? Hier drei Beispiele:
  • Die Zusammenarbeit im Team wird von Sprint zu Sprint besser
  • Ich kann Kritik und Probleme im Team offen ansprechen
  • Unsere Dailys sind wertvoll für mich

Im physischen Raum kannst du mit Skalen auf dem Boden arbeiten. Virtuell schreiben die Teilnehmenden den Skalen-Wert vor ihren Namen, sie stellen sich im Raum auf oder hängen Post-Its vor die Kamera. Man kann mehrere Fragen lediglich nominal bewerten lassen oder nur 1-2 Fragen / Thesen nutzen und tiefer reingehen. 

2. Die Scrum-Werte-Retro

Falls ihr Themen habt, die vermutlich nicht direkt adressiert werden, kann man mittels der Scrum-Werte (Offenheit, Mut, Respekt, Fokus, Commitment) wunderbar über Bande spielen. Diese indirekte Bearbeitung macht es leichter, Schwieriges auf einem zunächst abstrakten Niveau zu thematisieren.

Schon für das Warm-Up (1) eignen sich die Scrum-Werte. Die Teilnehmer*innen können z.B. überlegen, welcher dieser fünf Werte ihnen am wichtigsten ist. In 2er- oder 3er-Gruppen tauschen sich die Team-Mitglieder*innen dazu aus. Anschließend können die Teilnehmenden den Wert wählen, der für sie am weitesten weg ist. Auch dazu führen die Anwesenden kurze Gespräche. In dieser Runde soll es noch nicht um den letzten Sprint gehen, sondern zunächst noch allgemein bleiben.

Für die Aktionsphase (2) besetzen die Teilnehmer*innen die fünf Scrum-Werte und das Team als Rollen. Dabei kann man im physischen Raum Stühle nutzen. In Zoom heben wir meist die Teilnehmenden hervor (Fokussieren), die Rollen übernehmen. Über kurze Rolleninterviews kannst du als Leiter*in die fünf Werte zu ihrer Erfahrung im letzten Sprint befragen. Dabei versuchst Du nach und nach auf ganz konkrete Ereignisse oder Erlebnisse zu kommen und die Abstraktheit der Scrum-Werte zu konkretisieren. Idealerweise entsteht so ein Gespräch zwischen den anwesenden Rollen. Ggf. macht es Sinn, weitere Rollen auf die Bühne zu bitten. Abschließend kann man ein Interview mit dem Team führen. Wer erfahrener in Sachen Soziodrama ist, kann auch Doppeln und Tagging nutzen, um noch mehr Tiefgang, Dynamik und Interaktion auf die Bühne zu bringen. Das Vorgehen über Rolleninterviews wirkt aber auch schon Wunder. 

Nach dem Spiel solltet die Teammitglieder teilen, was sie dabei wahrgenommen und empfunden haben (Rollenfeedback). Wichtig: Auch ein stiller Beobachter hatte eine Rolle. Dabei hilft es, wenn sie die Sätze mit „Als (Rolle x/ Beobachter) … habe ich wahrgenommen, dass…“ beginnen. Bewertungen, Interpretationen und Erkenntnisse sollten noch zurückgestellt werden. Danach steigt ihr in eine Diskussion der Erkenntnisse (3) und Verbesserungsmaßnahmen (4) ein.

3. Die Retrospektive mit dem erweiterten sozialen System

Häufig wird zu viel Aufmerksamkeit auf das Team an sich gelegt, während das erweiterte Umfeld als Einflussfaktor unterrepräsentiert bleibt. Mit dieser Retrospektive lässt sich auch das erweiterte soziale Umfeld beleuchten.

Als Warm-Up (1) können die Teilnehmenden auf einem A3-Blatt alles notieren, was Einfluss auf ihr Arbeitsleben und ihre Performance im Team hat.

Für die Aktionsphase (2) könnt ihr per Zuruf sammeln, welche externen Einflussfaktoren im letzten Sprint eine wichtige Rolle gespielt haben mögen. Neben organisationalen sollen hier auch soziokulturelle, wirtschaftliche, technologische, politische, ökologische, gesundheitliche und andere Faktoren angesprochen werden können. Es kann durchaus passieren dass deutlich mehr Faktoren als Anwesende genannt werden.

Dann besetzt ihr die Rolle des Teams und klärt, welche weiteren (externen) Faktoren als erste in Rolle auf die Bühne kommen mögen. Wenn mindestens 2-3 weitere Rollen anwesend sind, beginnen diese, mit der Team-Rolle (oder auch zueinander) zu sprechen und zu interagieren. Spätestens hier sind die Hinweise wichtig, dass jede*r jede Rolle jederzeit verlassen und mit einer anderen Rolle auf die Bühne kommen kann. Wichtig ist, dass die Team-Rolle jederzeit besetzt bleibt.

Bei dieser Session kann sich schnell eine hohe Dynamik mit vielen verschiedenen Rollen ergeben. Das ist durchaus gewollt. Wenn das Spiel sich festfährt oder die Luft raus ist, endet die Aktionsphase (2) und ihr steigt über ein Rollenfeedback in die Diskussion über Learnings (3) und Verbesserungsmaßnahmen (4) ein.

Retrospektiven in Action: Troubled world

4. Die Objekte-Retro

Die Arbeit mit Objekten hat einen ganz besonderen Charme. Sie ist in der Regel sehr leichtgängig und erheiternd für eine Gruppe. Gleichzeitig bietet die metaphorische Verfremdung über das Dingliche die Möglichkeit tiefer zu schürfen und schwierige Themen leichter zu thematisieren. Ähnlich wie die Scrum-Werte nutzen wir Objekte, um Schwieriges indirekt über Bande thematisierbar zu machen. Chantal Nève-Hanquet und Agathe Crespel bezeichnen das in ihrem Buch „Facilitating Collective Intelligence“ als Analogical Detour. 

Als Vorbereitung / Warm-Up (1) können die Teilnehmenden 2-3 Objekte mitbringen, die Ereignisse oder Erfahrungen aus dem letzten Sprint repräsentieren. In der physischen Retro bringen die Teilnehmenden Objekte mit und man kann wunderbar eine Galerie zusammenstellen. In Zoom entsteht eine schöne Dynamik, wenn die Anwesenden die Objekte spontan “suchen” gehen. Statt physischer Galerie haben wir dann Screenshots auf einem virtuellen Whiteboard gesammelt. Mittels dieser Objekte können Kleingruppen von 2-3 Personen beginnen, über den letzten Sprint zu reflektieren. Hier kann es passieren, dass das Warm-Up bereits so viel Kraft entfaltet, dass es schlau ist, direkt mit den Objekten weiterzuarbeiten statt es unnötig kompliziert zu machen. 

Für die Aktionsphase (2) können die Teilnehmenden sich ein Objekt suchen, das in ihrem Team-Alltag eine wichtige Rolle spielt. Objekte können sowohl physischer und digitaler Natur als auch nicht-menschliche Lebewesen sein. Das kann ein Stuhl, ein Monitor, ein Telefon, ein virtuelles Whiteboard, das Email-Postfach, der Slack-Kanal, der Büro-Hund oder die Zimmerpflanze sein. Jede*r sucht sich ein Objekt und nimmt dieses als Rolle ein. 

Als Rollen-Warm-Up bieten sich häufig Introspektionsfragen an. Das sind Fragen, die alle still für sich reflektieren. Mehr dazu in unserem Newsletter High Five oder in diesem Blogbeitrag.

  • Wer bist du in der Rolle?
  • Seit wann bist du in der Rolle beim Team dabei?
  • Was ermöglichst du in der Rolle dem Team?
  • Wie erlebst du in der Rolle das Team?
  • Inwiefern fühlst du dich  in der Rolle vom Team gewertschätzt?

Anschließend kommen 2-5 Objekte in Rollen auf die Bühne und beginnen ein Gespräch über das Team. Manchmal nutzen wir Rolleninterviews, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Meistens ist das aber gar nicht erforderlich. Die ersten, die auf die Bühne kommen, haben in der Regel den sogenannten Act Hunger und wollen etwas mitteilen. 

Auch bei dieser Retrospektive hilft der Hinweis, dass jederzeit weitere Objekte auftreten und andere abtreten können. Außerdem ist es gut, wenn die Teilnehmenden abseits der Bühne in den Rollen bleiben und das Geschehen aus ihren Rollen betrachten.

Nach dem Spiel solltet ihr unbedingt auch mit einem Rollenfeedback in die Diskussion der Learnings (3) und Verbesserungsmaßnahmen (4) einsteigen.

B. Retrospektiven in Action: auf Basis von Playback Theater 

Das Playback-Theater (PT) verbindet Elemente von Psychodrama, Soziodrama und Impro-Theater zu einer eigenständigen Kunstform. Playback Theater findet meistens als Show von einem Ensemble auf einer Bühne statt. 4-6 Spieler*innen und ein*e Musiker*in bringen die persönlichen Geschichten aus dem Publikums improvisiert auf die Bühne. Ein*e sogenannte*r Conductor*in führt dafür kurze Interviews mit Erzähler*innen und gibt den Spieler*innen eine Spielform vor. Playback Theater lässt sich jedoch auch für Workshops gut adaptieren. Im Workshop-Setting sind die Teilnehmenden Spieler*innen und Erzählende im Wechsel. Ein*e Conductor*in kann die Anwesenden z.B. in 1-3 Spielformen (z.B. Fluid Sculpture, Tableau und Scenes) einführen. Playback Theater fokussiert auf die individuellen Erlebnisse der Teilnehmenden und fördert durch das Zurückspielen ein empathisches Zuhören und Spiegeln aller. Das Teilen individueller Geschichten fördert zudem das gegenseitige Verständnis und den Teamzusammenhalt. Für eine Retrospektive auf Basis von Playback Theater braucht es unbedingt Vorerfahrungen mit dieser sozialen Kunstform.

Retrospektiven in Action: Playback Theater

5. Die Playback-Retro

Die hier skizzierte Retro entspricht weitgehend der “Remote Work Retro in Action”, die wir im Herbst / Winter 2020 einige Male durchgeführt haben. Ergänzt haben wir einige Ideen, die wir über die Teilnahme an verschiedenen PT-Sessions bekommen haben.

Als Warm-Up (1) starteten wir nach ein paar Lockerungsübungen mit einer Runde „Lasst uns…“. Auf Zuruf warfen die Teilnehmer*innen Prompts in den Raum, die alle mit „AU JA!“ bestätigten und gemeinsam verkörperten. „Lasst uns wie Astronauten schweben.“ „AU JA!“ „Lasst uns Schweine sein.“ „„AU JA!“ „Lasst uns wild im Raum herumlaufen.“ „AU JA!“ …

Zu Beginn der Aktionsphase (2) haben wir die erste Spielform vorgestellt, die sogenannte Fluid Sculpture. Dafür kommen die Spielenden nacheinander mit einer repetitiven Bewegung/ Geste, einem Geräusch / Wort in den Vordergrund (Bühne oder Kamera) und sprechen ggf. einen kurzen Satz. Darüber verkörpern sie verschiedene Aspekte eines Erlebnisses auf eher abstrakte Art. Diese Form kann man auch  mittels eines Check-Ins üben. Je ein*e Teilnehmer*in sagt wie sie heute hier in diese Retro kommt. Anschließend bieten alle dazu gleichzeitig eine Fluid Sculpture an.

Mit einer PT-Kurzeinführung und dem Wissen um Fluid Sculptures haben wir Kleingruppen losgeschickt, sich ihre Geschichten zu erzählen und szenisch zurückzuspielen.

Zurück im Plenum haben wir nach Geschichten und Erlebnissen aus dem letzten Sprint gefragt sowie vier Personen, die diese Geschichte auf die Bühne bringen. Wir haben dann als Conductor-Rolle die Erzähler*in interviewt. Dabei geht es vor allem um die individuellen Wahrnehmungen und Empfindungen der Erzähler*in. Anschließend haben wir spontan eine Spielform ausgewählt und an die Spieler*innen übergeben. 

Als Spielformen für Workshops eignen sich neben der Fluid Sculpture auch das Tableau und die Szene. Beim „Tableau“ gibt man als Conductor*in die Geschichte in 5-7 Titeln wieder. Zu jedem Titel präsentieren die Spielenden ein Standbild mit verschiedenen Facetten der Geschichte. Bei der „Szene“ wählt die Erzähler*in aus, wer sie selbst und ggf. andere Akteure spielt. Spielende ohne Zuweisung sind frei in der Wahl von Rollen und Formen. Die Spielenden zeigen dann ihre Version der Geschichte. Eine größere Sammlung von Spielformen aus dem Playback Theater gibt es hier

Wichtig ist es, die/ den  Erzähler*in zu fragen, ob das Spiel ihre Geschichte angemessen wiedergegeben hat. Mit einer/ einem neuen Erzähler*in und neuen Spielenden geht es dann in die nächste Geschichte. Als Faustformel gilt: in 90 Minuten haben 5-8 Geschichten Platz, 3-4 kürzere und 2-4 längere.

Im Playback Theater gibt es keine Rollenfeedbacks. Stattdessen könnt ihr direkt in die Diskussion zu Learnings (3) und Transfer (4) einsteigen.

C. Retrospektiven in Action: auf Basis von Social Presencing Theater 

Das Social Presencing Theater ist die Aktionsmethode aus dem Kontext von Theorie U. Sie wurde von Arawana Hayashi und Otto Scharmer entwickelt und verbindet Bewegungsmeditation, Körperarbeit, Tanz und systemische Aufstellungen zu einer eigenen sozialen Kunstform. Die Mehrzahl der SPT-Übungen verzichtet auf Reden und Erklärungen während der Warm-Up und Aktionsphasen und nutzt lediglich einzelne Worte oder Sätze. Stattdessen geht es um das Erspüren des eigenen Körpers, der sozialen Systeme sowie der globalen Zusammenhänge. SPT-Sessions sind im Warm-Up und der Aktionsphase sehr meditativ-bedächtig und entschleunigend, aber auch bewegungs- und erfahrungsreich. Diese somatisch-sinnlichen Erfahrungen sind die Basis für einen anschließenden generativen Dialog. 

Für uns ist das SPT ein Entwicklungsfeld. Wir haben bislang nur wenige der insgesamt acht Formate aus dem SPT erlebt und eingesetzt. Die hier skizzierten Retrospektiven in Action sind daher eher Ideen, wie man SPT und Retros zusammenbringen könnte. Dirk Bräuninger wies bei der Vorbereitung für diesen Artikel noch einmal auf einen zentralen Unterschied zwischen SPT und Retro hin. Während Retro systematisch zurückschauen und das Gewesene analysieren, geht es im SPT (wie in Embodyment-Ansätzen insgesamt) um das, was im Hier und Jetzt präsent ist, sowie um die entstehende Zukunft. Diesen Grundkonflikt kann man kitten, indem man in der Retro den Blick auf das lenkt, was in dem Moment der Retro noch präsent und wichtig ist.

Retrospektiven in Action: Social Presencing Theater

6. Die Stuck-Retro

Stuck ist eine der zentralen Formen im SPT. Als Teilnehmer*in sucht man sich ein Thema oder eine Situation, in der man im Hier und Jetzt gerade feststeckt und nicht weiter weiß (Stuck). Dazu fühlt man in eigenen Körper und lässt diesen eine Form finden, die das Stuck-Gefühl zum Ausdruck bringt. Der Körper soll die Form finden, nicht der Kopf. Man fühlt weiter in sich hinein und folgt den Körperimpulsen. Die Skulptur 1 verändert sich bis man irgendwann in einer Skulptur 2 zur Ruhe kommt. Jetzt spricht man das Wort oder den Satz aus, der sich einem als erstes anbietet. 

Als Gruppenübung nutzt man andere Teilnehmende um Kräfte innerhalb des eigenen Stucks zu integrieren. So kann jemand z.B. an einer Schulter oder Armen ziehen oder dich halten oder schieben. Wie bei einer verdeckten Aufstellung wissen die Partner jedoch nicht welche Kräfte sie repräsentieren und vielleicht weiß man das selbst auch nicht so genau, spürt aber, dass es genau dort diese Kraft braucht. Sobald man sich bewegt, bewegen sich die Kräfte mit einem mit. Nach Skulptur 2 sagen auch die anderen jeweils einen Satz oder ein Wort.

Ich stelle mir vor, dass man diese Übung für eine Retrospektive in Action nutzen kann, indem man die Teilnehmenden bittet, an Momente aus dem letzten Sprint zu denken, die im Hier und Jetzt präsent sind. Dabei wäre es egal ob diese privat, im Team oder gesellschaftlich begründet sind. Man würde sich einige Stucks zeigen, ggf. auch in der Gruppenübung und diese Skulpturen als Ausgangspunkt für Learnings (3) und Transfer (4) nutzen. Das stelle ich mir sehr inspirierend und lebendig vor.

Als Warm-Up (1) für die Stuck-Retro sowie die 4-D Retro empfiehlt sich der 20 Minutes Dance, eine Bewegungsmeditation, die den gesamten Körper sensibilisiert. Mehr zu Stuck und 20 Minutes Dance findest du unter den Links des Presencing Institutes sowie im Buch von Arawana Hayashi.

7. Die 4-D Retro

Ein 4-D Mapping dient dazu ein festgefahrenes oder problematisches System mit seinen Akteuren räumlich abzubilden, zu erspüren und in die Veränderung zu bringen. Es ist eine Mischung aus gemeinsamen Stuck und einer systemischen Aufstellungen.

Zu Beginn definiert man die zentralen Akteure des Systems. Drei Rollen sind bei jedem 4-D-Mapping gesetzt: die Erde bzw. die Ökologie, eine marginalisierte Gruppe oder Individuum sowie das höchste Zukunftspotenzial des Systems. Sie repräsentieren was Otto Scharmer “Three divides” nennt (ecological, social, spiritual divide). 

Nacheinander betreten die Rollen die Bühne und suchen sich einen Ort, eine Ausrichtung und einen körperlichen Ausdruck für den aktuellen Status quo (am Ende des letzten Sprints). Sie sprechen einen Satz aus ihrer Rolle. Dabei achten sie nicht nur auf sich und ihren Körper sondern auch auf die Orte, Ausrichtungen und Formen der anderen Rollen, die eintreten oder schon da sind, sowie den gemeinsamen sozialen Körper aller Rollen. 

Wenn alle Rollen ihren Platz eingenommen und gesprochen haben, dürfen die Akteure ihren Körperimpulsen folgen und die soziale Skulptur in Bewegung bringen – auf der Suche nach einer besseren Konstellation. Diese Suchbewegungen dauern solange bis sich ein neues Gleichgewicht als Skulptur 2 gefunden hat. Auch jetzt sprechen die Rollen jeweils einen Satz. 

Auch diese Retro-Adaption ist aktuell noch fiktiv. Zu Beginn würde ich mit dem Team definieren, welche Rollen es aus dem Team-Kontext braucht. Dabei können durchaus auch nichtmenschliche Akteure (sogenannte Aktanten) einbezogen werden. So könnten auch hier die Scrum-Werte oder auch Objekte genannt werden. Diese Sammlung ähnelt der dritten Retrospektive in Action (Das erweiterte soziale System). Man würde überlegen, wie man die Three Divides als Rollen für das Team übersetzt. Das könnte in einem sehr männlich geprägten und weißen Team z.B. die Pandemie (für Ecological Divide) und eine BIPoC-Frau (für eine in diesem Kontext marginalisierte Gruppe) sowie einen Repräsentanten für das höchste Zukunftspotenzial des Systems. Man würde die wichtigsten Akteure/Aktanten als Rollen an Teilnehmende vergeben. Dabei sollte niemand die eigene Rolle einnehmen. Eine Rolle würde ich für das Team setzen. Wer keine Rolle übernehmen möchte, beobachtet das Geschehen. Auch das ist eine wichtige Funktion. 

Im anschließenden Debriefing (3) geht es zunächst um die Beobachtungen und Muster des Systems bevor ihr dann in die Diskussion von Learnings und Maßnahmen einsteigt.

Ausblick

Durch Aktionsmethoden wie Soziodrama, Playback Theater oder Social Presencing Theater werden Workshops im Allgemeinen und Retrospektiven im Besonderen emotionaler, erlebnisreicher und spielerischer.

Wenn du (Remote) Retrospektiven mit Aktionsmethoden kennenlernen und ausprobieren willst, schau doch mal unser Training bei Jensen und Komplizen dazu im Dezember 2021 an.

Wir haben außerdem noch in den Büchern und Links für weiteres Stöbern zusammengestellt.

Für die hier dargestellten Bilder hat mein Kollege Dirk Bathen mit den Büchern „Improv-ing Agile Teams“, „Sociodrama in a Changing World“, „Improvising Real Life“ und „Social Presencing Theater“ eine Runde Blackout-Poetry gemacht. Mehr Blackouts von Dirk finden sich auf mentalreserven.de und auch hier im Blog.

Agile und Spielen

Soziodrama

Playback Theater

Social Presencing Theater

Jörg Jelden

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