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Blackout-Poetry als Workshop-Tool

Ich mache das jetzt seit ein paar Jahren. Wer mich kennt, kommt an den Textverdunkelungen und Ausstreichbildchen nicht vorbei, die ich meinem (digitalen) Netzwerk regelmäßig unter die Augen reibe. Bisher war das Schwarzmalen alter Zeitungsartikel immer eine solitäre Übung. In Workshops habe ich das noch nie eingesetzt. Bis jetzt. Vor zwei Wochen habe ich im Rahmen eines Kongresses eine Blackout-Session mit den Teilnehmenden durchgeführt. Hier ein kurzer Erfahrungsbericht.

„Faszinierendes Erlebnis“, Dirk Bathen, 2015

Worum geht´s beim Schwarzmalen?

Blackout-Poetry ist im Grunde ganz simpel: Man rettet eine alte Zeitung vor dem Altpapier und streicht aus vorhandenen Artikeln den Text so aus, dass aus den Wörtern, die übrig bleiben, ein neuer Sinn entsteht. Erfunden habe ich das nicht, diese Art der Textverfremdung habe ich 2011 bei Austin Kleon zum ersten Mal gesehen. Und auch Tom Phillips hat mich mit seinem „Humument“ extrem beeindruckt. Wer sich dafür interessiert, wie diese Neusinnminiaturen bei mir aussehen, kann sich gerne die Textverdunkelungen im Blog oder auf Facebook  anschauen. Oder noch besser – Achtung: Eigenwerbung! – das kleine Büchlein kaufen, das Anfang Dezember bei GudbergNerger erscheint und 190 Blackouts versammelt, die ich in den letzten zwei Jahren gemacht habe. Ein Klick aufs Cover führt zu Amazon. Vom ersten Buch der Blackout-Poems
aus dem Jahre 2013 gibt´s übrigens auch noch ein paar Exemplare.

Eine neue Erfahrung: Textverdunkelung als Workshop-Übung.

Wie gesagt, wenn ich solche Ausstreichbildchen mache, sitze ich meist alleine an einem Tisch und blättere alte Zeitungen durch. Oder auch die aktuelle, was manchmal zu Familienärger führt. Für mich ist das wie Meditation, ich kann dabei unglaublich gut abschalten. Daran, Blackouts als Workshop-Übung einzusetzen, habe ich zwar schon hin und wieder gedacht, mich aber irgendwie nicht getraut. Bis jetzt. Denn im Rahmen des sechsten 1000-Vordenker-Summit im November in Hamburg habe ich  mich darin mal ausprobiert. An dieser Stelle ein großes Danke an Karl und David von der Gedankenfabrik, die mich genau für diese Übung angesprochen haben. Manchmal brauche ich eben einen kleinen Schubser von außen.

Blackoit-Session_A

Die Vorbereitung: Papier und Stifte

Was habe ich gemacht? Eine Session für 40 Teilnehmer ist schon mal eine Ansage. Also habe ich zunächst einmal alle Leute, die ich kannte, nach alten Magazinen gefragt. Oder anders formuliert: Ich habe mich als humanoider Altpapiercontainer betätigt und bin mit insgesamt ca. 30 (zum Teil echt gewichtigen) Magazinen zur Location gefahren – übrigens: designxport, altbekannt, immer wieder schön und bereits gefeatured in diesem Blog.

Dann braucht man natürlich Stifte. Viele Stifte. Hier hatte ich Glück, dass einigen Menschen bei der Firma edding meine Ausstreichbildchen ganz gut gefielen, so dass sie mir ein paar Dutzend 3300er-Permanent Marker zur Verfügung gestellt haben. Danke dafür.

Blackout-Session 1

Ein paar Grundregeln für aktives Blackouten

Der Kongress hatte das Thema „Future of Digital“. Im Vorfeld habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, welche Verbindungen die Themen „Zukunft“ und „Blackouts“ haben, und ich bin auf viele Gemeinsamkeiten gestoßen, die sich wunderbar zu einem kleinen Regelheft für aktives Blackouten zusammenfassen lassen. Und diese Gemeinsamkeiten haben mich darin bestärkt, in einem der nächsten (Kunden-)Workshops eine kleine Textverdunkelungsübung einzubauen. Ich glaube, dass sich insbesondere Strategie- und Innovationsworkshops dafür prima eignen, denn:

1. Die Zukunft baut auf Vorhandenem auf. Als aufgeklärte Zukunftsmenschen wisst Ihr das: Vieles ist nicht richtig neu, sondern eine Iteration des Bestehenden. Die Kunst beim Textverdunkeln ist, sich auf das Vorhandene einzulassen. Einfach irgendeine Zeitschrift greifen, willkürlich aufblättern und mit dem arbeiten, was da ist.

2. Zukunft ist gestaltbar – aber nur in gewissen Grenzen. Das Leben ist schließlich kein Wunschkonzert. Und die Seite ist der Rahmen, innerhalb dessen man sich frei bewegen kann. Mit allen Restriktionen – und mit allen Freiheiten.

3. Zukunft ist schnell. Alles ändert sich. Ständig. Es geht nicht darum, den „perfekten Text“ zu finden und die kostbare Zeit darauf zu vergeuden, immer weiter zu blättern, bis man einen idealen Artikel mit tollen Begriffen gefunden hat. Es geht darum, mit „gut-genug-Lösungen“ klarzukommen. Denn die Übungszeit ist begrenzt (auf ca. 15-20 Minuten).

4. Zukunft ist komplex. Beim Blackouten geht es darum, diese Komplexität zu reduzieren, Übersichtlichkeit zu schaffen, den alten Text zu reduzieren, auf ein Wort, einen Halbsatz oder einen kurzen Sinnspruch. Für grammatikalische Korrektheit ist da nicht unbedingt Platz.

5. Zukunft ist sprunghaft. Und genauso sollten die Texte gelesen bzw. die Wörter gefunden werden. Nicht linear, sondern von rechts nach links, von unten nach oben. Durch Längs- und Querdenken neue Richtungen entdecken, das ist das Ziel.

„Fortschritt“, Dirk Bathen, 2015

Was brauchst Du für eine Blackout-Session in Deinem nächsten Workshop?

Wenn Du eine Textverdunkelungs-Übung in einem Workshop einsetzen möchtest, brauchst Du nur drei Sachen: alte Zeitungen, Stifte und ein bisschen Zeit.

Materialien. Wie schon gesagt braucht es Stifte und Magazine. Dabei gilt: so viele wie nötig, aber nicht so viele wie möglich. Sonst scheitern die Teilnehmern an den Möglichkeiten. Fineliner oder Dickstift? Rot, gelb, schwarz oder blau? Economist, brand eins, enorm oder Wirtschaftswoche? Sorgt für eine Auswahl, aber nicht für ein Überangebot. Und vor allem: Kauft keine neuen Magazine, sondern sammelt bei Freunden, im Büro oder wo auch immer alte Gedrucktmedien. Neu kaufen widerspricht (für mich) irgendwie dem Grundprinzip des Textrecyclings.

Zeit. Bei meiner Blackout-Session habe ich ungefähr 45 Minuten gebraucht. 5 Minuten, um die „Regeln“ zu erklären und den Leuten zu zeigen, was Blackouts sind. 20 Minuten für die Bearbeitung. Und nochmal ca. 20 Minuten, in denen jeder, der wollte, seine Textverdunkelung vorgestellt hat.

Blackout-Session 2

Wann und wie kann man eine Textverdunkelung einsetzen?

Ich glaube: immer. Wie oben schon erwähnt: Strategietagungen, Innovationsworkshops, Team-Meetings, eigentlich egal. Es kommt nur auf die Frage an: Warum mache ich das – und was will ich damit erreichen? Bei meiner Session hatte ich am Schluss des Tages die Aufgabe, die TeilnehmerInnen dazu zu bringen, ihr Fazit der Veranstaltung in einem Blackout auszudrücken und ihre wichtigste Erkenntnis schwarz zu malen. Und da das Thema des Tages „Future of Digital“ war, bot es sich förmlich an, etwas Haptisches zu machen, ganz analog, mit bedrucktem Papier.

Aber auch andere Anlässe sind denkbar: als Aufwärmübung zu Beginn, oder eine kreative Störung zwischendurch. Im Grunde ist es genau so wie beim metaphorischen Bauen mit LEGO. Es geht darum, Assoziationen aufzubauen und mit den Händen zu denken. Was verbinden Sie mit Ihrem Unternehmen? Wie sollte unsere Strategie in Zukunft aussehen? Wie lässt sich unsere Unternehmenskultur am besten beschreiben? Worauf bin ich stolz? All das sind Fragen, zu denen man eine Antwort in Ausstreichbildchen gestalten kann.

Und wie beim LEGO-Bauen gilt: Es kommt nicht darauf an, wie meisterlich gestaltet oder grammatikalisch korrekt diese Textminiatur ist. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um einen kompletten Satz handelt, ob der Text tiefgründig oder humorvoll ist. Es geht nicht um die perfekte Textminiatur, sondern um die Assoziation. Genau wie es bei Lego Serious Play auch nicht um das beste Bauwerk geht, sondern um die Geschichte dahinter.

Blackout-Session_6

Mein Eindruck, nachdem ich nun meine erste „öffentliche“ Blackout-Session gemacht habe: Alle haben sich darauf eingelassen, waren mit Spaß dabei und fanden es gut, etwas mit den Händen zu machen. Keiner hatte Sorge, dass es nicht klappen könnte. Die einzige Sorge, die manche TeilnehmerInnen hatten, war, dass sie befürchteten, nie mehr eine Zeitung „ganz normal“ lesen zu können.

Wenn Ihr diese kleine Übung in Eurem Workshop einsetzt, schreibt mir doch kurz, wie das war und welche Erfahrungen Ihr damit gemacht habt. Das wäre toll.

In diesem Sinne: Malt fleißig schwarz und seht der Zukunft hell entgegen.

Blackout-Session_5

Dirk Bathen
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Soziologe, Autor und Universaldilettant. Als selbstständiger Organisationsberater hilft er Unternehmen und Führungskräften seit 2012, Klarheit über Zukunftsfragen zu erlangen. Vorher war der Vater dreier Töchter Geschäftsführer im Hamburger Trendbüro und in der Marktforschung und Markenberatung tätig. Nebenbei schwärzt er alte Zeitungsartikel und veröffentlicht „Blackouts“ sowie zentrale Randnotizen und bunte Strohhalme zur Weltbewältigung auf seinem Blog mentalreserven.de. www.dirkbathen.de Xing-Profil Kontakt auf LinkedIn

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