Zu Beginn vieler Workshops stelle ich ein paar grundlegende Arbeitsregeln vor, die bei einer Moderation helfen, Diskurse besser zu gestalten. Dafür haben wir mittlerweile ein ganzes Potpourri an Regeln, die ich hier einmal gebündelt aufführen und strukturieren möchte. Neben einigen Grundregeln gibt es dabei auch Regeln, die je nach Art des Workshops variieren.
Warum überhaupt Workshop-Regeln?
Wenn es um die Zusammenkünfte mehrerer Akteure geht – egal ob man das nun Workshop oder Meeting nennt -, dann ist eine meiner Aufgaben in der Moderation, diesen Gesprächen auf mehreren Ebenen Struktur zu geben:
- inhaltlich-thematisch: Was besprechen wir im Laufe des Workshops und wie kommen wir am Ende zu einem Ergebnis?
- methodisch: Mit welchen Tools und Interaktionstechniken werden einzelne Themen bearbeitet?
- zeitlich: Wie lange dauern die einzelnen Sessions?
Für diese drei Ebenen erstellen wir ein ausführliches Moderations-Skript. Was häufig unterschätzt wird, ist die vierte Ebene: die Frage der Diskussionskultur. Jeder, der schon einmal einen Workshop geleitet hat, kennt die störenden Einflussgrößen eines Workshops: Personen, die ständig auf ihr Telefon blicken, Alpha-Tiere, die eine kurze Gesprächspause nutzen, um einen langen Monolog zu halten, Teilnehmer, die die Pausenzeiten gnadenlos überziehen oder zu detailverliebte Menschen, die sich gerne in kleinteiligen Diskussionen verlieren.
Und was für längerfristige Transformationsprozesse gilt, gilt selbstverständlich auch für punktuelle Workshops: Kultur lässt sich nicht direkt beeinflussen, sondern über Interventionen auf Ebene der formalen Abläufe. Die Vorstellung von Diskussionsregeln zu Beginn eines Workshops ist so eine kleine Intervention, denn solche „Working Agreements“ helfen dabei, eine gewisse Workshop-Disziplin herzustellen – vor allem bei Gruppen oder Teams, mit denen ich zum ersten Mal zusammen arbeite. Meist sind diese Regeln für die gesamte Dauer des Workshops deutlich sichtbar im Raum hängen, so dass ich bei „Verstößen“ eigentlich nur stumm auf diese Vereinbarungen zeigen muss, ohne jeden einzelnen wiederholt daran zu erinnern.
Verschiedene Arten von Workshop-Regeln
In den letzten Jahren ist das „Portfolio“ an Working Agreements stetig gewachsen. Für mich und die Personen, mit denen ich regelmäßig arbeite, sind diese Regeln eine Selbstverständlichkeit. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Auftraggeber, die das erste Mal mit uns zusammenarbeiten, diese Vereinbarungen abfotografieren, um sie selbst anschließend in ihren Meetings zu verwenden. Dies ist erst jüngst wieder vorgekommen, und das hat mich dazu gebracht, diese Vereinbarungen mal zu strukturieren und gesammelt vorzustellen. Dabei gibt es drei verschiedene Kategorien von Workshop-Regeln. Lass Dich von der Menge dieser Regeln nicht irritieren, es ist eine Sammlung. Im konkreten Workshop setze ich meist nicht mehr als fünf bis sechs Regeln ein.
- Grundregeln, die in vielen Workshops zum Einsatz kommen und die Basis für das gemeinsame Arbeiten sind
- Spezifische Vereinbarungen, die sich aus dem Kontext des jeweiligen Workshops ergeben
- Individuelle Regeln, die sich an die (Diskussions-)Kultur der jeweiligen Organisation orientieren
Grundregeln
Workshop-Du: Standardmodus ist, dass wir ein Workshop-Du einführen, denn ein „Du“ ist häufig die bessere Basis für eine produktive Arbeitsatmosphäre. Da dies aber ein sensibler Punkt in vielen Organisationen ist, kläre ich vor dem Workshop, inwieweit ein Du überhaupt kulturell möglich ist. Falls das nicht so problemlos geht, ist eine Variante auch die Einführung eines kollektiven Du, wenn ich die Gruppe anspreche, aber im individuellen Kontakt bleibe ich dann beim Sie.
Geräte in den Flugmodus: Workshopzeit ist Fokuszeit. Teilnehmer, die immer wieder mit einem Auge aufs Smartphone schielen oder auf ihr Laptop-Display starren, sind nicht nur abgelenkt und halbherzig bei der Sache, sie stören auch die Energie der Gruppe. Ich bitte alle im Raum, ihre Geräte auszuschalten oder zumindest in den Flugmodus zu versetzen. Durch Verweis auf die Pausenzeiten gebe ich den Teilnehmenden einen Anhaltspunkt, wann sie sanktionsfrei zum Handy greifen können. Manchmal hilft es auch, die „Kaffeepause“ als „Handypause“ zu bezeichnen. Ergänzend frage ich gerne auch, wer denn einen extrem wichtigen Anruf erwartet oder führen muss, dann wissen alle, warum diese Person sich gegen halb elf mal kurz aus dem Raum verabschiedet.
Timeboxing: Damit am Ende eines Workshops nicht noch zuviel Agenda übrig bleibt, achte ich ziemlich genau auf die Zeit. Das gilt sowohl für die Dauer einzelner Sessions als auch für die Pausenzeiten. Es gibt kaum einen Workshop, in dem nicht unser TimeTimer zum Einsatz kommt. Und wir bitten die Teilnehmenden, auch selbst auf die Zeit zu achten. Denn „Zeit ist Geld“. Wenn in einem Workshop mit 15 Personen auch nur ein Teilnehmer 5 Minuten zu spät aus der Pause kommt und die restlichen 14 Personen warten müssen, dann sind das 5 mal 15 = 75 Minuten Wartezeit. Am Beispiel des eigenen Gehalts kann sich dann jede anwesende Führungskraft schnell ausrechnen, wie viel Geld gerade verbrannt wurde.
Keine Monologe: Diese Regel ist eher qualitativ. Jeder Teilnehmer soll daran erinnert werden, dass ein Workshop auch ein Austausch von Sichtweisen ist. Dabei sollen alle zu Wort kommen. Workshops dienen nicht dazu, einigen wenigen Meinungsführer eine Plattform für ihre Selbstdarstellung zu geben. Außerdem ist es für mich und die Teilnehmenden kaum sinnvoll möglich, sich auf einen langen Redebeitrag zu beziehen, ohne entweder 90% des Gesagten zu ignorieren oder erneut einen Monolog zu halten. Wenn man diese Regel quantifizieren möchte, lassen sich auch die Regeln „30 Sekunden Redezeit“ und „nur ein Gedanke pro Wortbeitrag“ einführen.
Leserlich schreiben: Vieles, was im Workshop besprochen wird, halten wir (oder die Teilnehmenden) schriftlich auf Post-Its fest. Damit es im Nachgang des Workshops auch für alle lesbar ist hilft es, die Anwesenden zu sensibilisieren, leserlich zu schreiben. Oder es auch manchmal konkreter zu machen, wie es die Kollegen von Metaplan in ihrer Regel zum „schriftlichen Diskutieren“ formulieren würden: mehr als ein Wort, nicht mehr als drei Zeilen. Folgt man strikt den Regeln der schriftlichen Diskussion bedeutet das auch, dass wir Widersprüche und Einwände in der Diskussion „blitzen“ (also visuell sichtbar machen) und die Gegenargumente aufnehmen.
Spezifische Regeln im Kontext des jeweiligen Workshops
Neben diesen Grundregeln gibt es ein paar Vereinbarungen, die nicht für jeden Workshop sinnvoll sind und die ich bei Bedarf einbringe.
Hände Hoch = Fokus auf uns: Das bietet sich insbesondere für die Moderation größerer Gruppen an. Je mehr Menschen es gibt, um so schwerer wird es für den Moderator, sich Gehör zu verschaffen. Es braucht ein Zeichen, um die Aufmerksamkeit der Gruppe wieder zu bekommen. Sobald ich die Hände hebe, hebt jeder, der mich sieht, ebenfalls die Hände und beendet das Gespräch. Und jeder, der jemanden mit erhobenen Händen sieht, macht das gleiche und ist still. So wandert diese Geste durch den Raum und idealerweise herrscht in wenigen Sekunden Ruhe.
Play Serious: In den meisten Fällen geht es in Workshops darum, dass am Ende etwas erreicht wurde. Ergebnisorientierung steht im Vordergrund. Aber mir ist es auch wichtig, dass die Teilnehmenden Spaß haben bzw. über das Spielen neue Erkenntnisse gewinnen. Deswegen ist eine der drei Rollen, die ich in der Funktion des Moderators habe, auch die des Entertainers. Das bedeutet nicht, dass man sich als Rampensau profiliert, sondern das man für Abwechslungs sorgt und sich den Themen nicht nur rein rational nähert. Für zielgerichtetes Spielen sorgen wir durch Tools wie Lego oder Rollenspiele. Durch diese Regel gebe ich explizit die Botschaft mit: Spaß und Spiel sind kein Selbstzweck, sondern sie helfen, zu lernen, motiviert zu bleiben und zu besseren Ergebnissen zu kommen.
Lösungsorientierung statt Problematisierung: Wenn die Gefahr besteht – und das finden wir häufig in den Vorgesprächen heraus – , dass die Teilnehmer eines Workshops dazu tendieren, in der konkreten Fragestellung den ganzen Tag zu problematisieren, dann hilft uns diese Regel, den Fokus auf die Frage zu lenken: Wie kann es denn trotzdem gehen? Als Zusammenkünfte wichtiger Akteure sind Workshops häufig auch kritische Momente für einen Wandel. Da bringt es wenig, wenn mit Floskeln wie „das geht nicht“, oder „das haben wir schon immer so gemacht“ der Weg in ein neues Handeln blockiert wird.
Done is better than perfect: Das ist das zweite Level der Lösungsorientierung. Kleine Schritte statt Masterplan. Wir folgen hier dem Pareto-Prinzip bzw. der 80/20-Regel. In vielen Fällen reicht eine Gut-genug-Lösung aus, eine 80%-Version. An den letzten 20% zu feilen, würde unverhältnismäßig viel Aufwand bedeuten. Deswegen: erstmal machen – und im Zweifel hinterher modifizieren und feinjustieren, anstatt zu versuchen im Workshop die perfekte Lösung zu erarbeiten. Deswegen ist diese Regel auch die kleine Schwester des Timeboxings.
Es gibt keine falsche Antwort: Diese Regel soll den Teilnehmern die Angst nehmen, etwas falsches zu sagen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn die Workshop-Teilnehmer aus unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen zusammengesetzt sind und wenn Fragen gemeinsam durchdrungen werden, auf die es noch keine (ausreichende) Antwort gibt.
Masse statt Qualität: Gerade in Innovationsworkshops, in denen viele Ideen generiert werden sollen, neigen manche Teilnehmer dazu, Ideen sofort zu bewerten, sobald sie geäußert wurden. Aber in einer solchen Phase der Divergenz, in der möglichst viele unterschiedliche Ideen und Handlungsoptionen gesammelt werden sollen, geht es nicht um Bewertung und Kritik, um Selektion und Realisierbarkeit von Ideen. Es geht (noch) nicht um die detaillierte Diskussion einzelner Ideen, sondern um eine möglichst bunte Sammlung an Optionen.
Vegas-Regel: „What happens in Vegas, stays in Vegas.“ Alles, was besprochen wird, bleibt im Raum. Insbesondere für Team-Retrospektiven ist diese Regel enorm wichtig, damit die Teilnehmenden auch frei sprechen können und keine Sorge haben müssen, dass ich die Ergebnisse und Eindrücke an die Management-Ebene spiele. Wenn ich diese Regel einführe, frage ich aber am Ende des Workshops immer nach, ob bzw. welche Ergebnisse mit anderen Personen geteilt werden dürfen.
Entscheider hat Veto-Recht: Soll im Workshop etwas entscheiden werden (Abstimmung) oder geht es „nur“ darum ein Stimmungsbild einzuholen? Wenn Entscheidungen anstehen, dann muss man sich zu Beginn des Workshops darüber verständigen wie diese Entscheidungen getroffen werden. Mit einfacher Mehrheit? Oder gibt es einen „Entscheider“ in der Gruppe? Dieser wird entweder in der Gruppe bestimmt oder ist qua Hierarchie gegeben und darf dann Diskussionen auch beenden, wenn sie zu kleinteilig werden oder sich in einer Sackgasse befinden.
Themenparkplatz: Um Neben-Diskussionen zu vermeiden und uns auf die wichtigen Fragen zu konzentrieren, die in einem Workshop besprochen werden sollen, platziere ich hin und wieder einen Themenparkplatz im Raum und weise darauf hin, dass die Teilnehmenden wichtige Aspekte, die im Laufe der Diskussion aufkommen, dort hinhängen können. Das bedeutet: Diese Aspekte werden im Workshop selbst nicht thematisiert, gehen aber auch nicht verloren. Und am Ende des Tages werden diese Nennungen nochmal aufgegriffen und wenn nötig in den nächsten Schritten adressiert.
Redefolge beachten: Normalerweise laufen in unseren Workshops die Diskussionen gesittet ab und ein Aufzeigen und Melden wie in der Schule ist nicht nötig. Sollte es aber dazu kommen, dass die Diskussionen ausarten, führen wir ab und zu auch die Drei-Finger-Gesprächsregel ein: Ein Finger = Neuer Beitrag, zwei Finger = Ergänzung oder Frage, drei Finger = Wortbeitrag off topic. Alternativ funktioniert auch die Drei-Bälle-Moderation.
Individuelle Vereinbarungen
Nachdem ich die Workshop-Regeln vorgestellt habe, frage ich alle Teilnehmenden, ob sie sich auf diese Vereinbarungen einlassen können und ob es möglicherweise noch weitere Regeln gibt, die wir nicht auf dem Zettel haben, die aber vor dem Hintergrund des zu besprechenden Themas und der Gesprächskultur in der jeweiligen Organisation noch wichtig sind aufzunehmen. Häufig kommen hier keine Ergänzungen mehr, aber ich habe es auch schon erlebt, dass dann noch solche Zusätze kamen wie „in Ich-Botschaften sprechen“ oder „ausreden lassen“. Ebenso kommen hier auch Aspekte wie z.B. „Wir lassen das Alltagsgeschäft außen vor“ oder „Wir wollen uns heute nicht vom Machbaren einschränken lassen“. Diese Vereinbarungen nehme ich dann auch noch mit auf. Zugleich geben mir diese Einwürfe auch Aufschluss darüber, welche Anfälligkeiten es in der Gesprächskultur im Alltag gibt bzw. welche inhaltlichen Leitplanken hier noch wichtig sein können, damit alle fokussiert in den Tag starten.
Welche Gesprächsregeln kennt Ihr?
Zum Abschluss interessiert mich, welche Regeln in Deinem Berufsalltag Anwendung finden: Daher die Frage an diejenigen, die selbst Workshops moderieren: Verwendest Du Gesprächsregeln – und wenn ja welche? Und die Frage an diejenigen, die „nur” Workshop-Teilnehmer sind: Hast Du Erfahrungen mit solchen Working Agreements? Welche würdest Du uns nennen, wenn wir einen Workshop in Deiner Organisation durchführen?