Angriffe, Bedrohungen & Katastrophen simulieren
Stell Dir vor: Hacker greifen Dein Unternehmen an, einer der vier apokalyptischen Reiter des Internets (Google-Apple-Facebook-Amazon) dringt in Dein Geschäftsfeld ein oder ein Vulkanausbruch legt plötzlich den gesamten Flugverkehr und Lieferketten lahm. Manchmal kommen Dinge mit verheerenden Konsequenzen über uns. Diese Bedrohungen kannst Du nicht verhindern, aber Du kannst vorbereitet sein. Darum geht es beim Threatcasting. Ich habe Threatcasting entdeckt, als ich für ein Führungskräfte-Retreat eine längere Futures-Thinking-Session konzipiert und verschiedene Tools zusammengestellt habe, mit denen man sich einfach, gut und strukturiert Zukunftsgedanken machen kann.
Wer diesen Blog schon länger liest und uns schon länger kennt, ist jetzt völlig zu Recht an ein Pre-Mortem erinnert. Beim Pre-Mortem lässt Du Dein aktuelles Vorhaben grandios scheitern und malst Dir aus, wie es soweit kommen konnte. Kaum eine Methode habe ich so häufig in Workshops eingesetzt wie das Pre-Mortem. Unzählige Gruppen haben ihre Projekte und Strategien sterben lassen, bevor sie überhaupt gestartet sind. Darüber haben sie immer einen besseren Blick auf kritische Faktoren oder Engpässe bekommen.
Pre-Mortem vs Threatcasting?
Pre-Mortem richtet den Blick auf organisationsinterne Schwierigkeiten und damit Dinge, die man aktiv gestalten und angehen kann. Ein Threatcasting dagegen konzentriert sich auf äußere Bedrohungen, Gefahren oder Angriffe, die sich dem eigenen Einflussbereich entziehen. Es hilft, solche Bedrohungen zu konkretisieren und sich den Verlauf vorzustellen, um dann bessere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und vorbereitet zu sein.
Das Unerwartete managen
So ein Threatcasting ist im Prinzip nichts Neues. Schon Karl E. Weick schildert in seinem Klassiker “Das Unerwartete managen – was Unternehmen aus Extremsituationen lernen können” ganz ähnliche Routinen für sogenannte High-Reliability-Organisationen. Das sind Unternehmen mit hochriskanten Aufgaben wie etwa dem Betrieb von Atomkraftwerken, von Flugzeugträgern oder Banken. In solchen Unternehmen gäbe es sehr häufig Routinen, Katastrophen vorzudenken, um sich dann entsprechend vorzubereiten. Ein klassisches Beispiel: Wenn ein Techniker eine lose Schraube auf dem Deck eines Flugzeugträgers findet, kann er direkt und ohne Abstimmungen mit Vorgesetzten sämtliche Start- und Landevorgänge abbrechen (obwohl er zu so einem Schritt sonst nie autorisiert wäre). Dies ist nur möglich, weil eine lose Schraube auf dem Flugdeck katastrophale Konsequenzen für das gesamte Schiff haben kann.
Threatcasting meets Science Fiction Prototyping
Neu ist jedoch die Art wie dieses Threatcasting betrieben wird. Anstelle einer Fingerübung im Workshop machen Unternehmen wie Cisco oder die US-Armee regelmäßige und umfassende Prozesse dazu. Sie versuchen darüber einerseits die richtigen Themen zu finden, vor allem aber möglichst detailliert und plausibel den Verlauf herauszuarbeiten. Die Ergebnisse werden aufwändig über sogenannte Science Fiction Prototypes aufbereitet. Vor allem das Comic von Cisco hat mich sehr begeistert.
Gleichwohl kannst Du ein Threatcasting auch toll im Workshop einsetzen, um radikale Thesen (“Dann wird Euch Amazon angreifen!”) zu durchdenken, sich auf strategische Bedrohungen besser vorzubereiten und eine Dringlichkeit zum Handeln herzuleiten. Es ist ein wunderbares Tool, um zu Beginn einer Session die Teilnehmer geistig ordentlich in Bewegung zu bringen.
Threatcasting kombinieren
Wenn Du das Threatcasting für mehr als eine Fingerübung nutzen willst, dann macht es Sinn, zunächst über eine Übung wie Critical Uncertainties Faktoren zu identifizieren, die sich schlecht kontrollieren lassen bzw. Entwicklungen zu benennen, die eine hohe Unsicherheit und hohen Einfluss auf das Unternehmen haben könnten. Außerdem macht es dann Sinn, in zwei oder drei weiteren Runden, die einzelnen Ergebnisse mit “Wie genau?” oder „Wie sonst noch?“ Fragen zu detaillieren.
Das Vorgehen
In der Durchführung unterscheidet sich das Threatcasting von einer Pre-Mortem-Übung lediglich in der Anmoderation und dem Setting.
Pre-Mortem | Threatcasting |
Wir schreiben das Jahr 20XX. Euer Projekt grandios gescheitert. | Wir schreiben das Jahr 20XX. Aufgrund einer äußerlichen Bedrohung, eines Angriffs, einer Katastrophe oder eines Schicksalsschlags ist Euer Unternehmen … |
Beschreibt die Situation. | Beschreibt das Setting. |
Wie hat sich Euer Scheitern vollzogen? Was waren die 3-5 zentralen Schritte, die zum Scheitern geführt haben? | Wie hat sich die Bedrohung vollzogen? Was waren die 3-5 zentralen Schritte? |
Was habt Ihr unterschätzt oder unterlassen? | Was habt Ihr unterschätzt oder unterlassen? |
Was könnt Ihr jetzt tun, um das Scheitern zu vermeiden? | Was könnt Ihr jetzt tun, um so eine Bedrohung abwehren zu können? |
Wie genau Du ein Threatcasting durchführst, kannst Du dem Pre-Mortem-Artikel entnehmen.
Zum Abschluss noch ein kleines Gedankenexperiment:
Das Nahtod-Erlebnis eines Pre-Mortems hat ja einen champagnerkorkenknallenden Zwilling – das Pre-Celebration. Bei einer Pre-Celebration Übung imaginierst Du einen bahnbrechenden (Projekt)-Erfolg und wie es dazu kommen konnte. Überträgt man diese Logik auf äußerliche Entwicklungen müsste man so ein Threatcasting auch ins Positive drehen können, also in einer Art Opportunity-Casting die positiven Seiten einer äußeren Veränderung fokussieren. Äußere, positive Entwicklungen würden sich dann deutlich schneller, deutlicher oder stärker vollziehen und das Unternehmen müsste schneller agieren und handeln als angenommen. Wem diese 2×2 Matrix irgendwie bekannt vorkommt – das mag sein: Dirk stellte beim Bürogespräch die inhaltliche Nähe zur SWOT-Analyse heraus, bei der es eine interne und eine externe sowie eine positive und eine negative Dimension gibt. Die vier Tools sind dann vielleicht sowas wie eine SWOT-Analyse auf einem Ausflug in die Zukunft – oder so.
Externe Entwicklungen | Threatcasting | Opportunity-Casting |
Organisationsinterne Entwicklungen | Pre-Mortem | Pre-Celebration |
Negativ | Positiv |
Ich werde in den nächsten Wochen weitere Erfahrungen mit dem Threatcasting machen und freue mich sehr auf den erneuten Einsatz dieses feinen, kleinen Werkzeugs.
Von Threatcasting zu Preparedness
Wer sich weiter damit beschäftigen will, wie man sich auf solche Untergangsszenarien vorbereitet, dem empfehle ich außerdem den Vortrag „Rehearsing Disaster“ von Elisabeth Angell auf der Future Perfect Conference.
P.P.S.: Angriff des Killer-Roboters
Wie wir als Moderatoren vom Killer-Roboter angegriffen werden, zeigt dieses Video unseren neuen Büro-Kollegen AxiDraw.
Mein Film from Valentin Heyde on Vimeo.