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Von “Soft Start” bis “Wetterbericht”: Den Workshop starten, bevor er beginnt

Weather Report

Der Workshop geht um neun Uhr los, 20 Minuten vorher trudeln schon die ersten Teilnehmer ein. Du steckst noch mitten in den Vorbereitungen, räumst Tische um, hängst Poster auf, müsstest aber eigentlich etwas Smalltalk machen. Für mich ist das hin und wieder eine etwas unangenehme Situation. Was also tun? Ganz einfach: Du beginnst den Workshop, bevor der Workshop überhaupt beginnt. Mit einem “Soft-Start”. So schickst Du die ersten Teilnehmer schon “sanft” ins Arbeiten, sie können sich auf den Workshop einstimmen. Wie das geht – und wie wir diese Methode für den Einsatz innerhalb von Workshops und auch für Großgruppen weiterentwickelt haben, möchte ich in diesem Artikel vorstellen.

Zwischen Ankommen und Loslegen: “Arbeiten”, bevor der Workshop beginnt

Die Methode “Vor der Kirche” habe ich zum ersten Mal bei Metaplan kennengelernt, und es handelt sich streng genommen mehr um einen Zeitpunkt, als um eine “echte” Methode. Es ist der Moment, in dem sich die Dorfbewohner vor der Kirche versammeln und miteinander plaudern, bevor der Gottesdienst – bzw. der Workshop – beginnt. Wie man diesen Moment zwischen Ankommen und Loslegen füllt, ist im Grunde jeder Moderatorin selbst überlassen.

Bei Metaplan werden die Teilnehmer eines Seminars zum Beispiel nach dem Ankommen an ein Poster geschickt, auf dem eine Tabelle vorgezeichnet ist. Zeilenweise trägt sich jeder ein und füllt die einzelnen Spalten aus. Den Anfang machen die klassischen Vorstellungsfragen wie Name, Unternehmen, Position. Dann kommen weitere Fragen, die nicht nur etwas mehr über die Person verraten, sondern auch etwas Nachdenken erfordern: eine berühmte Person, mit der ich gerne mal spazieren gehen würde; ein Ort, an dem ich mich gerne aufhalte; was sonst noch aus mir hätte werden können oder wie alt ich 2026 sein werde.

Das Poster bleibt während des ganzen Seminars sichtbar im Raum. So kann man immer mal wieder drauf schauen und überprüfen, was genau Sabine oder Arne oder Christoph eigentlich beruflich machen. Vor allem für ein Seminar, in dem sich die Teilnehmer nicht kennen, ist das eine schöne Einstiegsübung, um jenseits einer klassischen und zeitaufwändigen Vorstellungsrunde etwas über die Menschen zu erfahren, mit denen man den Tag verbringt. Diese Art der Vorstellung schafft zudem Gesprächsanlässe für Pausenzeiten: Interessant, dass Jutta mal mit Michelle Obama spazieren gehen möchte …

Wir haben so ein Vor-der-Kirche-Poster bürointern mal an unserem Whiteboard nachgestellt, weil wir natürlich, ganz datenschutzkonform, hier keine echten Workshop-Poster präsentieren wollen:

“Mobile Alter-Egos” und kontinuierliche Gesprächsanlässe

Aber auch für Workshops, in denen sich die Teilnehmer schon relativ gut kennen, lässt sich diese Technik super anwenden, indem man Fragen einbringt, die eben nicht so offensichtlich sind und die auch für andere Team-Mitglieder noch Neuigkeitswert haben: ein Projekt, das mich gerade beschäftigt; eine Frage, die ich mir gerade stelle; etwas Wichtiges, das ich in den letzten drei Monaten gelernt habe; mein lehrreichstes Urlaubserlebnis …

Wir setzen anstatt Poster auch gerne Krepp-Band in mehreren Farben ein. Ein Klassiker ist zum Beispiel: Name auf weißes Krepp, eine Superheldeneigenschaft (oder auch eine besondere themenrelevante Kompetenz) auf blaues Krepp und eine berühmte Person, mit der man gerne mal Kaffee trinken würde, auf pinkes Krepp. Die Teilnehmenden schreiben auf das Band und kleben sich die drei Streifen auf die Kleidung. So tragen sie ihre “Besonderheiten” immer mit sich herum. Der Vorteil: Wenn man zu zweit an der Kaffeemaschine steht, sieht man sofort, mit wem man es zu tun hat und man kann den  “Gedankenleser”, der gerne mal Darth Vader treffen würde, sofort in ein Gespräch verwickeln. Als Moderator kann ich im Workshop diese Mechanik auch aufgreifen und dadurch Gesprächsthemen verfremden oder vielleicht auch deeskalieren. Wenn es beispielsweise ein kontroverses Gespräch gibt, macht man die berühmten Personen auf dem Kreppband einfach zu Diskutanten und fragt: Was würde denn Dagobert Duck auf dieses Argument antworten? Oder Du nutzt die Superheldeneigenschaft oder die Spezialkompetenz eines Teilnehmers, um die jeweilige Person in eine andere Sichtweise zu schubsen. Diese Verfremdung ist letztlich nichts anderes als ein Perspektivwechsel und eine Art Metapher, um ein festgefahrenes Gespräch zu irritieren und zu versuchen, es wieder zu lockern. Oder um einfach einen anderen Blick auf die Dinge zu ermöglichen.

Schnelles Stimmungsbild: punkten statt schreiben

Je größer die Gruppe ist, umso mühsamer ist es natürlich, wenn alle Teilnehmer auf Poster schreiben müssen oder drei Krepp-Streifen am Oberkörper tragen. Hier lässt sich durch klassisches Dot Voting eine Heatmap, also ein schnelles Stimmungsbild erzeugen, das die Menschen in ein Gespräch bringt. Metaplan macht das beispielsweise gerne mit (provokanten) Thesen, zu der man mit einem Klebepunkt Stellung bezieht: von ++ (volle Zustimmung) über + und – bis hin zu Doppelminus. Und bitte bloß keine Mittelkategorie, das erstickt jede Diskussion im Keim. Immer schön polarisieren, das fördert die Diskursfreudigkeit. Und das Nivellieren geschieht im Gespräch hinterher von ganz alleine.

Wir setzen diese schnelle “Heatmap” auch sehr gerne ein, vor allem im Kontext von Großgruppen. Beispielsweise haben wir im Rahmen eines Expertenworkshops zum Thema “Finanzbildung” direkt am Eingang zum Workshopraum ein Poster aufgestellt und jeden der mehr als 40 Teilnehmenden gebeten, mit einem Punkt zu markieren, welche Akteure hier in Zukunft die größte Verantwortung tragen werden. Das führte bei den ankommenden Gästen, die sich noch nicht kannten, zu intensiven Diskussionen. Und alle hatten sofort einen Anlass, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn es in diesen Gesprächen zunächst nur darum ging, dass ein Punkt pro Person zu wenig ist, hat dieser Einstieg seine doppelte Funktion als sozialer Ice-Breaker und inhaltliche Stellungnahme erfüllt.

Ein “Weather Report” als Überblick der aktuellen Großwetterlage

Ein anderes Beispiel ist der Einsatz als “Wetterbericht” im Rahmen einer Unternehmenskonferenz, für die wir eine mehrstündige interaktive Session mit mehreren Themeninseln und Kreativstationen konzipiert haben. Hier haben wir in der Vorbereitung schon gemerkt, wie unterschiedlich die Sichtweisen auf einzelne Themen waren, so dass wir für ein paar Aspekte – wie eine Art Fragebogen – links und rechts gegenpolige Aussagen platziert haben. Durch Punkten konnten die Teilnehmenden schnell ihre Meinung kundtun, aber vor allem ging es darum, die Menschen, die sich an dieser Wand aufhielten, in den Diskurs zu bringen. Schöner Nebeneffekt: Weil es über 120 Personen waren, jede mit fünf Klebepunkten ausgestattet und je nach Abteilung in einer anderen Farbe, war dieses Board am Ende auch hübsch bunt anzusehen.

Fun Fact: Dass dieses Tool bei uns unter dem Namen “Weather Report” läuft, hängt übrigens damit zusammen, dass wir die Veranstaltung entlang einer Reisemetapher konzipiert haben. Es gab zum Beispiel das Blue Ocean Paradise oder den Great Barrier Relief, Copy Island oder die Gossip Tours. Valentin, Jörg und ich haben uns dafür sogar eigens Hawaii-Hemden besorgt. Und für jeden Teilnehmenden gab es eine Blumenkette – je nach Abteilung und geographischem Sitz der Tochterfirma in einer anderen Farbe – aber das ist ein anderes Thema.

Fazit: Schnelles Stimmungsbild oder arbeiten, bevor der Workshop beginnt

Ein Soft-Start funktioniert super als Prä-Workshop-Übung, um Leerlaufzeiten zu überbrücken, um die ersten Gespräche zu fördern oder als Ersatz oder Ergänzung für langweilige Vorstellungsrunden. Ein Wetterbericht ist eine niedrigschwellige Übung, um ein schnelles Stimmungsbild einzuholen, einen Überblick zu relevanten Fragen zu bekommen und Diskussionen unter den Teilnehmenden anzustoßen. Dabei kann man diese Bewertungen im Verlauf der Veranstaltung nochmal reflektieren und explizit zum Thema machen – dann ist so eine Übung eher der Einstieg in eine Detaildiskussion. Man kann den Wetterbericht aber auch einfach als singuläres Element einsetzen, ohne im weiteren Workshop darauf einzugehen. Es muss halt in den Flow passen.

Und wenn Du so etwas wie den Soft Start mal selbst ausprobieren möchtest, empfehle ich Dir hier eine Liste von 25 Fragen mit “Icebreaker Questions”. Da ist bestimmt etwas dabei.

Dirk Bathen
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Soziologe, Autor und Universaldilettant. Als selbstständiger Organisationsberater hilft er Unternehmen und Führungskräften seit 2012, Klarheit über Zukunftsfragen zu erlangen. Vorher war der Vater dreier Töchter Geschäftsführer im Hamburger Trendbüro und in der Marktforschung und Markenberatung tätig. Nebenbei schwärzt er alte Zeitungsartikel und veröffentlicht „Blackouts“ sowie zentrale Randnotizen und bunte Strohhalme zur Weltbewältigung auf seinem Blog mentalreserven.de. www.dirkbathen.de Xing-Profil Kontakt auf LinkedIn

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