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Wie die Klimakatastrophe die Transformation von Organisationen prägt

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation Von gigantischem bewegt werden

Review des 1. Soziodrama zu “Organisationen in der Klimakatastrophe”

Kurz vor den Sommerferien folgten ca. 20 Menschen unserer Einladung zum 1. Soziodrama „Organisationen in der Klimakatastrophe“. Es war ein emotions- und erkenntnisreicher Nachmittag, in den wir einen Einblick bieten wollen. Wir wollen unsere Beweggründe für unser Klima-Engagement erklären, das methodische Vorgehen darlegen sowie eine Einordnung der jeweiligen Ergebnisse anbieten.

Wie es dazu kam

Nachdem mich das Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel als Zukunftsforscher vor etwas mehr als 10 Jahren intensiv beschäftigt hat, habe ich es in den letzten Jahren eher aus den Augen verloren. Das änderte sich durch eine lange Zugfahrt am 1. Mai, auf der Valentin und ich zufällig Wolfgang Wopperer-Beholz trafen. Wolfgang ist einer der Gründer des Hamburger Betahauses, war Gesellschafter von Mindmatters und Entwickler des Product Fields. Wir sind seit langer Zeit eng inhaltlich miteinander verbunden. Wolfgang hat es im Sommer 2018 nach London verschlagen, und dort mischt er seit einiger Zeit bei der Extinction Rebellion mit. Allen Greta-Auftritten zum Trotz – erst durch dieses Gespräch hat die Klimakatastrophe für mich wieder an Wichtigkeit und Dringlichkeit erfahren und ich habe erstmals wieder ein Momentum in Sachen Klimapolitik gespürt. Mir wurde meine eigene Verdrängung bewußt und deutlich, dass unser Überleben als Menschheit gerade auf Messers Schneide steht und schnell Großes passieren muss, um unseren Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.

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„… weil Ihr uns die Zukunft klaut“

So kam es, dass Valentin und ich am Freitag vor der Europawahl zur großen Fridays for Future Demonstration gingen. Es hat mich sehr berührt, als 10-jährige Kinder riefen „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut.“ Während wir liefen, sprachen wir über den Slogan und das Thema. Auf meinen Einwand, dass „wir werden alle sterben, wenn wir nicht schnell xy tun“ eines der archetypischen Zukunftsnarrative ist, entgegnete Valentin, dass es aber hier ganz anders sei. Dass wir als Gesellschaften gerade jegliche wissenschaftlichen Erkenntnisse ignorieren. Dass jede neue wissenschaftliche Studie mit noch dystopischeren Ergebnissen aufwartet. Dass angesichts der Größe der Gefahr unser Umgang mit diesem Risiko beispiellos und vollkommen unverständlich ist. Oder wie er sagte kurzum: “Was, wenn die abgedroschene Narrative dieses Mal stimmt und Gesellschaften abgestumpft weghören?”

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Organisationen in der Klimakatastrophe

In weiteren Gesprächen mit Dirk und Valentin entstand der Impuls, dass wir mit Komfortzonen.de auch irgendwie aktiv in Sachen Klimarettung werden wollen. Wir wollen unsere Expertise als Begleiter von Transformationsprozessen und unsere Zugänge zu sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen nutzen. Wir wollen den Blick nicht auf das individuelle Konsumverhalten und die große Politik, sondern auf die Gestaltungsmacht von Organisationen richten. Wir wollen erkunden, wie auch die Klimakatastrophe neben Digitalisierung, Agilisierung und anderen Themen die Transformationen von Organisationen prägen. Daraus entstand die Idee, das 1. Soziodrama “Organisationen in der Klimakatastrophe” zu initiieren.

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Soziodrama? Sozio-was?

Beim Soziodrama handelt es sich um szenisch-darstellerischen Ansatz mit Gruppen zu arbeiten, der von Jacob Moreno entwickelt wurde. Es sind Methoden, um mit einer Gruppe Gruppen-, Gemeinschafts- oder Gesellschaftsthemen in Aktion zu explorieren und somit ko-kreatives, szenisches Storytelling zu betreiben. Dabei gibt es drei Phasen: das Warm-Up, das soziodramatische Spiel und das abschließende Sharing. Hier findest Du mehr zum Unterschied zwischen Workshops und Soziodrama, zur Soziodrama-Leitung sowie zum Einsatz von Soziodramas in Transformationsprozessen.

Die Teilnehmer

Das Interesse in unseren Netzwerken an dem Thema und der Herangehensweise war sofort groß und schnell waren die 20 Plätze überbucht. Wir konnten einen sehr breiten Teilnehmerkreis gewinnen: es waren Klima-Aktivisten und -Wissenschaftler da, Selbständige und Unternehmer sowie Vertreter von Institutionen (Kirche, Krankenkasse) und konventionellen Industrien (Öl, Luftfahrt). Auch wenn sich wenige Menschen vorher kannten und die Hintergründe doch recht divers waren, hatten wir schnell eine gute Stimmung und ein vertrauensvolles Miteinander. 

Gruppendynamisch war es interessant, dass von den ursprünglich 27 angemeldeten Teilnehmer zehn in den zwei, drei Tagen vor der Veranstaltungen aus individuellen Gründen absagen mussten. Einerseits ist das bei einer kostenlosen Veranstaltung vollkommen im Rahmen des Erwartbaren. Es verweist aber auch auf den Dauerkonflikt zwischen individuellem Anspruch und den tatsächlich verfügbaren Ressourcen jedes und jeder Einzelnen. Und gerade das Engagement in der Klimakatastrophe hat einerseits hohe Dringlichkeit und erfordert andererseits intensive emotionale Auseinandersetzungen. Nicht zuletzt legen Bewegungen wie Extinction Rebellion und Fridays for Future starken Wert auf die individuelle und gemeinsame Regeneration nach Aktionen.

Die Soziodrama-Warm-Ups

Zwei der Warm-Ups möchte ich kurz vorstellen, da diese sehr kraftvoll und bewegend waren. 

Warm-Up 1: Die archetypischen Kräfte der Transformation

Dabei handelt es sich um drei kleine Übungen, die erlebbar machen, welche Dynamiken in Transformationen jeglicher Art aufeinandertreffen. Die Übungen basieren auf dem Konzept der Space Objects und sind von der Impro-Pionierin Viola Spolin inspiriert. Bei Space Objects lassen wir ein Objekt allein durch unser darstellendes Spiel entstehen. So kann man so tun als würde man einen Ball umherpassen, und der Ball entsteht vor unserem geistigen Auge. Die Art, wie eine Gruppe die Übungen löst, erzählt viel über das kollektive Bewusstsein und Unterbewusstsein der Gruppe.

  1. Das große Ziehen
  2. Gemeinsam Gigantisches bewegen
  3. Von etwas Gigantischem bewegt werden

1. Das große Ziehen

Zwei Gruppen treten zu einem virtuellen Tauziehen an. Bei allem Krafteinsatz für das eigene Team muss die gesamte Gruppe das virtuelle Seil intakt lassen. Diese Übung zeigt die Kräfte des Diskurs und der Debatte, in der eine Seite versucht zu gewinnen.

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation tauziehen

2. Gemeinsam Gigantisches bewegen

Die Gruppe einigt sich auf etwas Großes, Schweres, Überdimensionales (in diesem Fall ein gigantischer Stein) und bewegt es anschließend von A nach B. Diese Übung zeigt die Macht einer gemeinsamen Anstrengung.

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation Gemeinsam Gigantisches bewegen

3. Von etwas Gigantischem bewegt werden

Die Gruppe einigt sich auf eine Naturgewalt (z.B. einem Sturm) und lässt sich von Ihr steuern. Die Naturgewalt symbolisiert das Unvorhersehbare und lenkt den Blick auf die Unkontrollierbarkeit von Prozessen.

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation Von gigantischem bewegt werden

Spannend daran war in diesem Fall, dass die Teams sich beim Tauziehen von Anfang an extrem lautstark angefeuert und mit Kraft aufgeladen haben. Das Tauziehen endet üblicherweise mit einem Gewinner. In diesem Fall blieben beide Seiten lange gleichstark bis die eine Gruppe schließlich nachgab. Es wirkte beinahe, als würde die eine Seite irgendwann aufgeben. Um den Stein zu bewegen, hat die Gruppe nicht nur auf einen gemeinsamen Anschub gesetzt, sondern auch ein Seil zum Ziehen benutzt. Allerdings verzichtete sie auf den Einsatz eines Hebels oder eines anderen Werkzeugs für zusätzliche Wirkung. Im Sturm war es auffällig, wie die Gruppe beim Aufkommen des Sturms zu kommunizieren begann und sich gegenseitig durch Festhalten beistand und einander half. Mich erinnert vieles daran an die aktuelle Klima-Debatte: Zum einen die lautstarken und ewigen Debatten, in denen es keine Fortschritte gibt und man sich fragt, wie es jemals schneller vorangehen kann. Zum anderen die sehr kraftvollen Demonstrationen, die langsam (zu langsam?) Gigantisches in Bewegung bringen und schließlich erhoffe ich mir von der aktuellen Situation, dass wir als Menschheit im Angesicht der zunehmenden Krisen und Katastrophen eher zusammenrücken und zusammenhalten und nicht in Neo-Klan-Strukturen zurückfallen und uns gegenseitig bekriegen.  

Warm-Up 2: Gemeinsam den Klimatod sterben

Inspiriert von den Die-Ins, den öffentlichen Sterbeaktionen der Extinction Rebellion, haben wir zunächst einige der negativen Folgen der Klimakatastrophe gesammelt. Anschließend bat ich eine Person als eine dieser Klimakatastrophen in die Mitte des Kreises, um die Menschheit oder den Planeten (die übrigen Teilnehmen) dahinzuraffen. Es waren sehr düstere Momente, als die Dürre aus der Kreismitte allen das lebensnotwendige Wasser entzog, oder als das Artensterben umherging und eine Art nach der anderen auslöschte.

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation Die-In

„Was hast Du damals gemacht?“

Zu Beginn des soziodramatischen Spiels stand ein Inter-Generationen-Dialog. Zwei Stühle in der Mitte: einer für einen Elternteil, einer für ein Kind. Die Szene startete mit der Frage: was hast Du damals gemacht, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Zwei Teilnehmer begannen und die übrigen konnten über die Technik des Doppeln das Nicht-Gesagte (z.B.  Gefühle, Zweifel, Handlungsoptionen) ergänzen und die Rollen per Tagging auch ganz übernehmen. Schnell wurde deutlich, wie gefangen und hilflos die Erwachsenen in ihrem täglichen Handeln sind, wie der vollgepackte Alltag nach Bequemlichkeit lechzt, wie widersprüchlich und inkonsistent unser Verhalten ist (erst demonstrieren, dann zu McDonald´s). Mir wurde dabei bewusst, wie stark die aktuelle Klimakatastrophe auch ein Konflikt zwischen den Generationen ist. Unsere Eltern fragten ihre Eltern, was die in der Nazi-Zeit gemacht haben, wieso sie keinen Beitrag geleistet haben, das Verbrechen zu beenden. Ich merke, wie sehr ich Angst vor dieser Frage meiner Kinder habe und wie unzufrieden ich mit meinen Antworten bin. 

Die Scham, gesellschaftliche Forderungen an die Organisation zu stellen

Anschließend bat ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kleingruppen Forderungen an Organisation und Demo-Slogans zu entwickeln. Zu verschiedenen  Kategorien wie Geld, Einkauf, Mobilität oder Energie begannen die Kleingruppen zu arbeiten. Anschließend haben wir uns die Forderungen und Slogans angehört und sie gemeinsam lautstark skandiert. 

Es war auffällig, wie schwer sich die Teilnehmenden taten, solche Forderungen zu formulieren. Umso mehr, weil mir gefühlt sofort einige sehr konkrete Forderungen eingefallen sind. Ich stelle mir seither die Frage, warum dies sowohl den Klima-Aktivisten als auch denjenigen, die in Organisationen arbeiten, so schwer fällt. Mein zentraler Erklärungsansatz lautet derzeit: wir sind es so sehr gewohnt, Veränderungen auf individueller oder oberster Ebene zu suchen, dass wir uns schwer damit tun, selbst, die großen Hebel anzufassen und konkrete Forderungen zu entwickeln. Wie schwer es uns fällt, solche Forderungen als Führungsimpulse für die Organisation zu betrachten. 

Die Scham, gesellschaftliche Forderungen in der eigenen Organisation zu platzieren

In drei Kleingruppen haben die Teilnehmenden dann kurze Szenen vorbereitet, wie man solche Forderungen in die Welt bringen würde. Dies waren schöne Beispiele, wie man aktiv werden kann. In der ersten Szene haben Aktivisten einen CEO in der Öffentlichkeit konfrontiert und versucht in ein Gespräch zu verwickeln. In der zweiten Szene hat eine Gruppe eine Initiative im Betrieb gestartet und versucht in der Kantine möglichst viel Aufmerksamkeit und Mitstreiter für ihr Anliegen zu finden. In der dritten Szene ging es um einen gemeinsamen Betriebsausflug zur nächsten Fridays for Future Demonstration am 20. September und um die Unterstützung seitens der Unternehmensleitung. In allen drei Szenen wurde deutlich, wie unangenehm und schambehaftet solch ein politisches Engagement in der Organisation ist. Die Scham hat auch Marie-Pascale Gafinen in ihrer Prozess-Visualisierung (ein so genanntes Generative-Scribing) zum Soziodrama herausgearbeitet.

Organisationen in der Klimakatastrophe Soziodrama1 transformation GenerativeScribing

Einzelne können Berge versetzen

Nach einem ersten Durchlauf haben wir alle drei Szenen noch einmal gespielt und die anderen Teilnehmer eingeladen mitzuspielen und die Szenen zu verändern. Interessanterweise gab es in allen drei Szenen im zweiten Durchgang eine Person von Außen, die einen neuen Führungsimpuls gegeben und damit die Spannungen und Konfrontationen aufgelöst hat. 

Insbesondere dieser letzte Punkt war dann auch ein zentraler Punkt im abschließenden Sharing. Es braucht immer das mutige Engagement einzelner, um eine Gruppe wie eine Organisation in Aktion zu bringen. Aus Zeitgründen habe ich dann auf ein gemeinsames Abschlusslied verzichtet. Aber die Textzeilen frei nach Margaret Mead lagen mir auf den Lippen: 

“Never doubt, that a small group of people can change the world. Indeed it is the only thing that ever has.”

Am Freitag, den 20. September 2019 findet weltweit der globale Klimastreik statt. Das ist eine super Gelegenheit, möglichst viele Menschen in Deinem Umfeld und Deiner Organisation zu mobilisieren. Fridays for Future appelliert auch an Unternehmer und Entscheider, nicht nur Mitarbeitern die Gelegenheit zu bieten, sondern geschlossen als Unternehmen zu kommen. Viele Unternehmen haben begonnen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Teilnahme an dem Klimaprotest freizustellen. Und auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stellt inzwischen Klimawandel über Arbeitsplätze und ruft zur Teilnahme am globalen Klimastreik auf. 

Und was ist mit Dir?

Am 1. September 2019 fand das 2. Soziodrama zu “Organisationen in der Klimakatastrophe” statt. Wenn wir Dich auch zu einer kommenden Veranstaltung zu einladen sollen, schreib uns doch eine kurze Email an hallo@komfortzonen.de.

Jörg Jelden

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