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Warum ich niemals nie nur der Moderator bin

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Jörg Jelden

Lesedauer 4 Minuten

Ein Blog über gute Moderation braucht ein Selbstverständnis von guter Moderation. In sieben Punkte möchte ich dieses  Selbstverständnis skizzieren. Als guter Moderator bewege ich mich  an der Schnittstelle von Mediation, Beratung und Unterhaltung. Ich muss die Interessen der Teilnehmenden berücksichtigen, mit Konflikten umgehen können, ein Vorhaben voranbringen, die Wahl der richtigen Methoden, Materialien und Interaktionen treffen und natürlich die Teilnehmer zum Lachen zu bringen.

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit einmal selbst „moderiert“ zu werden. Mit den Bewohnern unserer Hausgemeinschaft haben wir uns ein Wochenende zurückgezogen, um Zeit für Grundlegendes zu haben. Der Moderator eröffnete mit den Worten:

„Ich bin nur der Moderator. Ich habe hier keine Interessen. Es geht nicht um mich, sondern um Euch. Ich helfe Euch nur, Eure Gespräche zu strukturieren.“ Mich hat diese sehr zurückgenommene Art stark irritiert. In wesentlichen Aspekten entspricht dies nicht meinem Selbstverständnis. Da selbst bei Wikipedia die Informationslage dünn ist, nehme ich diese Erfahrung zum Anlass über das Selbstverständnis von uns Moderatoren zu schreiben.

1. Als Moderatoren haben wir einen Auftrag – immer!

Wir haben Auftraggeber, die uns beauftragen, gute Kommunikation unter den Teilnehmern zu organisieren. Gleichzeitig wollen diese Auftraggeber, dass wir ihr Vorhaben voranbringen. Auch, wenn wir dieses Erreichen gar nicht versprechen können, ist dies die Erwartung an uns. Unsere Interessen sind es daher, dass die Gruppe gut miteinander kommuniziert und zugleich das Vorhaben vorangebracht wird. Konkret heißt das, dass ausreichend Zeit für die Diskussion und Konkretisierung der wichtigen Themen besteht und alle Teilnehmer ausreichend gehört werden, aber auch dass dem Reden Taten folgen. Als Moderatoren sind wir damit „Führungskraft auf Zeit.“

2. Wir arbeiten mit und an den Komfortzonen der Teilnehmer

Komfortzonen sind eine Mischung aus Interessen, Motivationen und Überzeugungen. In der Regel haben die Teilnehmer einer moderierten Session deutlich unterschiedliche Komfortzonen – denn sonst bräuchten sie keinen Moderator. Um die Komfortzonen der Teilnehmer während der Moderation zu kennen, führen wir idealerweise im Vorfeld einer Moderation Interviews mit den wesentlichen Beteiligten. Das hilft einem, die zentralen Knackpunkte und Hintergründe der Diskussion zu verstehen. Die Interessen, Motivationen, und Überzeugungen der Teilnehmer zu kennen hilft, die richtige Dramaturgie und Agenda zu entwickeln, zu entscheiden, wann man die Teilnehmer öffnen sollte und potentielle Konflikte zur Klärung zu bringen oder auch gezielt zu umschiffen.

3. Wir gehen vorsichtig mit sensiblen Informationen um

Wer in die Interessen, Überzeugungen und Meinungen der Teilnehmer eintauchen will, braucht das Vertrauen der Personen. Die Interviewten müssen die Sicherheit haben, dass kritische Informationen nicht weitergegeben werden. Das Dilemma: Einerseits will man das Wissen nutzen, um das Team voranzubringen. Andererseits darf man die Einzelpersonen nicht bloßstellen. Je sensibler die erhaltene Information, desto vorsichtiger muss man diese verwenden, anonymisieren und verpacken.

4. Als Moderatoren bestimmen wir nicht nur das Was, sondern auch das Wie der Gespräche

Als Moderatoren entwickeln wir eine Agenda und legen damit eine Vielzahl von Schwerpunkten. Diese Agenda berücksichtigt, was die identifizierten Knackpunkte sind, definiert, wo der Schwerpunkt der gemeinsamen Diskussion liegen muss, welche Punkte angerissen und welche vertieft werden. Zudem achten wir auf einen guten Ablauf und eine gute Strukturierung des Tages. Von der Öffnung zu Beginn bis zu den nächsten Schritten am Schluss, von der Begrüßung über die Aktivierung nach dem Suppenkoma bis zur Kaffeepause. In der Agendagestaltung wechseln wir zwischen schnellen, kleinen Interaktionen und breiten, tiefgehenden Diskussionen. Wir variieren zwischen Einzel-, Team- und gemeinsamer Arbeit. Entsprechend wählen wir die Methoden und Materialien aus. Am Ende läuft natürlich selten alles nach Plan oder Plan B und man muss situationsspezifisch nachjustieren oder sogar live die Agenda über den Haufen werfen und improvisierend vorankommen.

5. Wir nehmen uns Zeit für die nächsten Schritte

Jeder Workshop verfolgt einen Zweck, der erreicht werden soll: Insbesondere in Strategieworkshops sollen zum Ende Ziele und Maßnahmen zur Umsetzung definiert werden. Bei vielen Workshops bleibt zu wenig Zeit für die Konkretisierung der nächsten Schritte. Denn es gehört mehr dazu als ein Wer macht Was mit Wem bis Wann und welche Ressourcen braucht es dafür. Zusätzliche Aufgaben gehen z.B. immer zu Lasten anderer Aktivitäten. Es gilt, die wichtigsten Barrieren vorwegzunehmen und mögliche Lösungswege zu entwickeln. Zudem sollten sich die Teilnehmer einigen, wie sie gegenüber anderen von dem Workshop sprechen wollen.

6. Wir geben Empfehlungen – wenn es sein muss

In aller Regel wird man als externer Moderator auch engagiert, um einen Blick von Außen beizusteuern. Es wird sehr häufig von uns verlangt, eine Empfehlung auszusprechen oder gefragt, wie andere Unternehmen mit so etwas umgehen. Natürlich beinhaltet der Ablauf des Tages und die Wahl der Teilnehmer schon viele Empfehlungen. Aber in der Regel reicht dies nicht aus. Hier ist man im Dilemma: einerseits fehlt einem fast immer die Expertise für ein solches Urteil. Andererseits enttäuscht man, wenn nichts rät oder nur Allgemeinplätze von sich gibt. Von daher ist unsere Faustformel: so wenig wie nötig, so konkret wie möglich. Häufig reicht es, wenn man die Ergebnisse am Ende selbst noch einmal bewertet und begründet zusammenfasst, was man etwa gut findet, was man vermisst und was die Teilnehmer bei der weiteren Bearbeitung des Vorhabens nicht außer Acht lassen sollten.

7. Als Moderatoren haben wir die Pflicht zu unterhalten

Bei aller Seriösität und Gewichtigkeit ist es unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass die Teilnehmer aufmerksam, motiviert und wach bleiben – und zwar den ganzen Tag. Dass die Teilnehmer bei aller Ernsthaftigkeit auch lachen, inspiriert und überrascht werden. Ansatzpunkte hierfür sind u.a. besondere Locations, Objekte im Raum, Erlebnis aktivierende Spielchen, Goodie Bags, Materialien, Exkursionen, Gäste, Gruppenfotos etc. Allzu häufig erscheint dieser Aspekt eher als Kür, denn als Pflicht. Gerät man in Zeitnot wird hier voreilig gekürzt. Aber die Erfahrung zeigt, dass es diese Elemente sind, die zum Gefühl eines herausragenden Workshops am meisten beitragen. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass dies besonders schwierg ist.

Das sind meine sieben Aspekte für eine gute Moderation. Mich interessiert, welche Aspekte Ihr ergänzen würdet? Und außerdem:

Was sind Eure Lieblinge, um die Teilnehmer bei Laune zu halten?

7 Gedanken zu „Warum ich niemals nie nur der Moderator bin“

  1. Ein sehr schöner Beitrag Jörg und ein sehr schöner Blog. Punkt 7 ist für mich sehr wichtig, Ich denke auch es ist mehr als nice to have den Rahmen zu spannen und gut zu unterhalten. Das berühmte Workshop-Du, eine lockere Atmosphäre und im besten Fall viel Lachen sorgt für eine offene, vertraute Atmosphäre in der auch Ideen besser fließen.

    Ich würde den Punkt Entscheidungen und Improvisation ausweiten. Ich finde es sehr wichtig bei aller Planung fluide und schnell zu entscheiden, wenn es angebracht ist. Programmpunkte umschmeißen, Kürzen oder sogar Ziele anzupassen. Auf die Energie im Raum zu reagieren, die richtigen Antennen dafür zu haben, halte ich für die Königsdisziplin. Diese Fähigkeit zeichnet Workshop-Profis meiner Meinung nach aus.

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  2. Hey, Jörn-Hendrik, wie wunderbar, dich als ersten Kommentatoren begrüßen zu können 🙂 Beim Punkt Improvisation stimme ich dir absolut zu. Ich mag es sehr, wenn ein Workshop so läuft, wie geplant. Wenn die Timeboxen halten, wenn das Skript reibungslos spult, wenn Alles läuft… Aber wirklich euphorisiert und vollends platt komme ich dann aus Workshops raus, wenn Improvisation sich ihren Weg bahnt, wenn die Agenda aus meiner Sicht eigentlich aus dem Ruder gelaufen ist und gleichzeitig die Teilnehmer das Gefühl haben, dass Alles sei ganz genau mein Plan gewesen.

    Und am meisten Spaß macht mir das in einem guten Moderatoren-Tandem, wenn die Bälle hin und her fliegen – und das Skript „on the fly“ und in kurzen Pausen adjustiert wird. Passenderweise gibt’s gleich morgen ein Tool im Blog, das auch so etwas ist, wie eine Antenne für Stimmungsenergien…

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  3. Ahoi Jörn-Hendrik. Vielen, vielen Dank für den ersten Kommentar! Natürlich geht es darum, mit dem Fluss und dem Flow zu gehen und ffluide zu bleiben. Schließlich geht es darum, die Gruppe voranzubringen und nicht meine Agenda durchzudrücken. Das eine bedeutet jedoch nicht, sich gut vorzubereiten und einen Plan in Form einer Dramaturgie zu haben. Ein Post von Dirk wird sich in naher Zukunft aber auch damit beschäftigen, warum es ein gutes Zeichen ist, wenn einem die Agenda um die Ohren fliegt und wann dafür der richtige Zeitpunkt ist.

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    • Jörg, danke. Schön, wenn einem über die Kommentare neue Ideen für Artikel zugetragen werden. Mal sehen, ob dieser Druck jetzt produktiv ist, ob das Timeboxing funktioniert oder ob mir der geplante Artikel um die Ohren fliegt.

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  4. Nachtrag: Jörn-Hendrik, es gibt natürlich Moderatoren, die unterschiedliche Schwerpunkte legen. Vielleicht eignet sich dieses Raster mit sieben Fragen oder den drei Kreisen auch zu Beginn eines Projekts, um besser zu verstehen, was die Teilnehmer brauchen.

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  5. Guten Abend die Herren,

    danke Euch für diesen spannenden Blog!, freue mich auf die anstehenden Gepräche und Diskussionen über Moderation :-).

    Ich stimme Jörn Hendrik voll zu was die Aufmerksamkeit für die Energien im Raum angeht. Für mich ist das „immer nah an den Teilnehmern sein“, deren Wünsche und Erwartungen aufzugreifen. Natürlich am Beginn abzufragen, aber auch im Verlauf einer Veranstaltung wach zu sein, was sich in der Gruppe tut.

    Ein weiterer wichtiger Aspekt finde ich: TIming und die Uhr im Blick halten. Die Agenda kann im Verlauf eines Workshops über den Haufen geworfen werden, aber wenn die zentralen Zeitpunkte nicht eingehalten werden – was immer auch ein Versprechen des Moderators ist an die Gruppe, etwa (einigermaßen) pünktlich zu Enden – dann kann es schon mal zu Meuterei in der Gruppe kommen. Hab ich alles erlebt. Und umgekehrt das schöneste Lob bekommen, wenn ich pünktlich auf die Minute geendet bin. Gerade wenn ich eine recht heterogene Gruppe vor mir hab mit unterschiedlichsten Interessen.

    Wie negativ nicht eingehaltene Zeitversprechen wirken können, hatten Jörn Hendrik und ich grad neulich gemeinsam bei einer Veranstaltung erlebt, gell 😉

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  6. Danke, Moritz. Natürlich ist es essentiell mit dem Flow der Anwesenden zu gehen. Mir ist es nur wichtig zu sagen, dass es mehr als das braucht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Moderatoren zu stark auf den Flow setzen und zu wenig vorbereiten und lenken. Die Konsequenz ist dann häufig, dass man sehr langsam startet und die „teure“ Zeit im Workshop nicht effizient nutzen kann. Aber selbstverständlich muss man immer auch bereit sein, alles Vorbereitete über den Haufen zu werfen und spontan zu reagieren.

    Das Timing-Versprechen finde ich schön. Denn es ist in der Tat ein Versprechen, das man macht. Dessen ist man sich zu selten wirklich bewußt!

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