High Five #09: Von der Ungewissheit des Augenblicks und der Poesie im Virtuellen

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Lesedauer 5 Minuten

Hallo,
nichts ist mehr so wie es mal wird. Also möchten wir dich einladen, mit dem Ungewissen zu kuscheln. Oder anders formuliert: wir möchten mal wieder etwas ausprobieren. Vielleicht hast du Lust dabei zu sein? Mehr dazu unter Punkt 1. Darüberhinaus erwarten dich in dieser Ausgabe wieder ein paar hoffentlich anregende Impulse rund um Organisationsgestaltung und Remote-Facilitation.
Schönes Wochenende und ein freundliches „High Five“ aus der Routine des Ausnahmezustandes!


1. Die Unsicherheit umarmen

Die aktuelle Zeit ist mehr denn je von Unsicherheiten und Unwägbarkeit geprägt. Es eröffnet sich viel Raum für Eigeninitiativen und neue Führungsimpulse. Angesichts knapper werdender Budgets für Organisationsentwicklungsprojekte und Lerninitiativen braucht es einen stärkeren Blick auf das, was trotz begrenzter Mittel möglich ist. Da lohnt es, in unseren agilen Werkzeugkoffer zu schauen, auf eine Methode, die uns schon lange begleitet und prägt: Effectuation.

Bei Effectuation handelt es sich um eine Entscheidungslogik von Unternehmern im Gegensatz zum Management. Die Prinzipien von Effectuation finden sich auch in unserer Haltung in Transformationsprozessen: Statt die Zukunft zu prognostizieren, Strategien zu planen und Wandel durchzudeklinieren, akzeptieren wir Unsicherheiten und Zufälle als Chance und experimentieren und iterieren wir uns fort. Statt der Frage nach dem erwarteten Ertrag fragen wir uns, was ein leistbarer Verlust für Experimente wäre. Statt ambitionierte Ziele zu formulieren versuchen wir uns der Mittel, Möglichkeiten und Motivationen bewusst zu werden und Ressourcen durch Partnerschaften zu erweitern. 

Michael Faschingbauer hat dazu vor einiger Zeit ein tolles Buch geschrieben. Aus dem Kreis seiner Effectuation Experts wurde wiederum ein tolle Zusammenfassung als Übersichtskarte entwickelt. Das Tool „Marktplatz der Macher*innen“ ist ein Effectuation-Herzstück und ein treuer Begleiter in unserer Moderation von Gruppen und Großgruppen sowie bei der Begleitung von Transformationsprozessen. 

Und jetzt kommst du ins Spiel: In einer virtuellen Session wollen wir Menschen zusammenbringen, die Transformationsprozesse leiten und begleiten. Menschen aus Organisationen und Menschen, die diese Personen dabei als Externe unterstützen. Auf einem Marktplatz der Macher*innen treibst du dein Vorhaben weiter, bekommst neue Impulse und schmiedest Allianzen. Wenn du dabei sein willst, trag dich bitte hier ein.


2. Buchempfehlung mit Potential zum Standardwerk: Facilitating Collective Intelligence

Immer wieder werden wir nach Büchern in Sachen Facilitation und Prozessbegleitung gefragt. Abgesehen von Liberating Structures hatten wir bislang keine gute Antwort jenseits von eher kleinteiligen, Tool-orientierten Büchern. Aber jetzt haben wir das Buch „Facilitating Collective Intelligence“ entdeckt. Chantal Nève-Hanquet und Agate Crespel haben ein dichtes und kompaktes Werk geschaffen, das genauso in Haltungen und Safe Space einführt wie in Strukturierung von Gruppenprozessen. Die Autorinnen legen zudem einen Schwerpunkt auf Aktionsmethoden und führen damit in Moderationstechniken jenseits von Kartenfragen und Post-It-Schlachten ein. Das Buch eignet sich für Einsteiger wie Profis gleichermaßen und ist ein echtes Highlight. Tollerweise bieten die belgischen Autorinnen am 16. Mai von 17 bis 20 Uhr einen internationalen Workshop dazu an – wir sind dabei.


3. Kniff fürs Virtuelle: Griff zu Schere & Papier

Wer schon mal Workshops mit uns hatte weiß, dass wir gerne basteln. Das wird auch von virtuellen Abstandszeiten nicht gebremst. Für die neueste Bastelüberlegung kommen verschiedene Aspekte zusammen. Erstens: wir möchten die verschiedenen Bildebenen in Video-Umgebungen clever nutzen. Zweitens: Tools wie ManyCam erlauben zwar digital tolle Texteinblendungen im Webcam-Bild, sind aber in Zoom seit einigen Wochen gesperrt. Drittens: Viele Tools führen auch zu vielen Fehlerquellen und Abhängigkeiten. Viertens: Teilnehmer*innen schätzen die Aufmerksamkeit für Details und Bastelliebe. Die Bastelei lohnt sich, wenn wenig Text für längere Zeit parallel zu den Moderierenden eingeblendet werden soll. Im Bildbeispiel ging es um eine Aufwärmübung namens The Village (Social Presencing Theater/ Theory U) mit viel Bewegung, in der alle sich in der Gallery-View sehen sollten. Wir haben nur über die analogen Einblendungen „anmoderiert“ und einfach selbst mit den Bewegungen begonnen. Für dieses Setting waren die Papp-Einblendungen ideal. Improvisiert an einem Hocker und einem Stativ befestigt blieb der Text einfach stabil im Bild. Wenn du so etwas auch mal bastelst, schick uns sehr gerne mal ein Bild davon.


4. Schau mir in die Augen, Zoombie!

Jeder Fernsehmoderationspraktikant, jede Webinar-Coachin lernt und lehrt es, und der Teleprompter wurde nur deshalb erfunden: Schau direkt in die Kamera! Denn dann sieht es aus, als würdest du den Zuschauern direkt in die Augen gucken. Und weil das so ist, wird landauf landab geraten: Schau in einer Videokonferenz direkt in die Kamera! Denn dann fühlen deine Gegenüber sich angeschaut und gesehen. Jaja. Soweit so gut. Aber was passiert da eigentlich in Echt? In Echt schert sich derjenige, der bei einer Videokonferenz pausenlos direkt in die Kamera schaut, einen feuchten Kericht darum, wie andere Teilnehmerinnen gerade auf das Gesagte reagieren. Wer bei einer Videokonferenz in die Kamera guckt, hat also die anderen nicht im Blick. Das ist bei einem Frontalunterricht-Webinar vielleicht nicht schlimm. Aber in einem Workshop? Da brauchen wir als Berater und Facilitatoren jeden Rückkanal für Stimmungen. Und es ließe sich folgende Hypothese ableiten: Unterbewusst nehmen Teilnehmer war, dass ich in die Kamera gucke und mich damit für meine Wirkung, aber gegen den Rückkanal und ihre Reaktionen entscheide. Wir haben es hier mit einer klassischen Zwickmühle zu tun. Konkret überwiegen für uns gerade die Vorteile, wenn wir nicht starr auf die Kamera fixiert sind und diesen „Sendemodus“ nur sehr gezielt einsetzen. Spannend bleibt abzuwarten, wie gut sich Lösungen wie in Apples Facetime schlagen werden, die per Software dafür sorgen, dass ich zwar Teilnehmer anschaue, mein Blick aber hin zur Kamera korrigiert wird.


5. Ko-kreative Dichterei via Chat als Workshop-Tool

Die virtuelle Facilitation hat ihre eigenen ganz wunderbaren Besonderheiten. Statt nur analoge Werkzeuge ins Virtuelle zu übertragen, gibt es auch originär digitale Tools. Eins davon ist das Gedicht, das ko-kreativ geschrieben wird. Dafür lässt du die Teilnehmenden im Chat zum Ende des Workshops zwei Fragen beantworten. Letzte Woche fragten wir in unserem Soziodrama zu „Organisationen im Notfallmodus“ zum Beispiel konkret:

  • WIE WAR ES VORHER / AM ANFANG? Jede/r einen kurzen Satz, der mit „Ich war / spürte / fühlte / sah  / wollte …“ oder „Es war…“ beginnt und in  Vergangenheitsform formuliert ist!
  • WIE IST ES JETZT DANACH / AM ENDE? Jede/r einen kurzen Satz, der mit „Ich bin / spüre / fühle / sehe / will …“ oder „Es …“ beginnt und in der Gegenwartsform formuliert ist!

Eine Frage bezieht sich also auf davor, eine auf danach – so birgt das Gedicht die Chance, eine tolles Artefakt zu werden, das die Dynamik und Veränderung der gemeinsamen Session festhält.
Wenn du dieses Gedicht vorliest, kann ein kleiner, magischer Moment entstehen. In unserem letzten Soziodrama zu „Organisationen im Notfallmodus“ entstand das Gedicht, von dem ihr oben im Bild die ersten Zeilen sehen könnt. Wenn ihr das ganze Gedicht sehen und hören möchtet: hier haben wir ein kleines Video davon online gestellt. Vielen Dank an Karolina Iwa und Manuela Bosch für die Inspiration. 


Du suchst einen Sparringspartner für einen komplexen Workshop, schwierige Akteurskonstellationen oder kommst in deinem Transformationsprozess nicht weiter?

Schreibe uns gern eine Mail, wenn du bei einem Vorhaben eine zweite Meinung, einen kritischen Blick oder neue Impulse benötigst. Und wie immer freuen wir uns auch über Feedback zu diesem Newsletter. 

Danke fürs Lesen und Deine Zeit.


Beste Grüße und einen schönen Tag,
Dirk, Jörg und Valentin

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