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Unser erster Transformation Circle – eine Nachlese

Menschen, die Transformationsprojekte leiten, steuern oder begleiten, brauchen regelmäßig Raum mit Gleichgesinnten zum Reflektieren und Regenerieren, zum Spielen und Simulieren. Mit dieser Hypothese haben Valentin und ich im Spätsommer 2021 den Transformation Circle initiiert und uns mit 12 Transformationsbegleiter*innen verschiedener Kontexte auf eine neunmonatige Erkundungsreise begeben. Dieser Artikel soll die Erfahrungen zusammenfassen, unsere Intentionen und Vorgehen darlegen und zeigen, wieso die Welt mehr offene Lern- und Reflexionsräume wie den Transformation Circle braucht.

Dicke Bretter zu bohren ist ein hartes Brot

Menschen, die Transformationen voranbringen, haben es schwer und brauchen eine hohe Frustrationstoleranz. Für diese Arbeiten gibt es keine Blaupausen und Masterpläne. Was gestern in einer anderen Organisation funktioniert hat, kann heute famos vor die Wand fahren. Wer Transformation wagt, nimmt es mit den geballten Beharrungskräften eines Systems auf und muss die über Jahre oder Jahrzehnte aufgebauten Organisations- und Technikschulden umschiffen und obendrein die Kultur- und Verhaltensgewohnheiten berücksichtigen. Diese Menschen müssen fortwährend Erwartungen managen, einen Richtungsimpuls kreieren und Kurs halten, Wirkung erzeugen und mit den permanenten Umbrüchen, Rückkopplungen und Rückschlägen innerhalb und außerhalb des Systems umgehen. Als Randständige des Systems treten sie diese Reise ins Ungewisse in der Regel mit viel zu wenig Ressourcen in Form von Geld, Womanpower und Wissen an. Das muss man aushalten können.

Transformation Circle

Reflexion und Regeneration sind Privatsache?

Gesellschaftliche oder organisationale Umbrüche voranzutreiben, zu organisieren und zu begleiten, ist eine Aufgabe, wo der Purpose nicht lange gesucht werden muss. Vielmehr herrscht für diese Rollen Sinnüberschuss. Und damit droht auch die Selbst-Überforderung, -Ausbeutung und -Überlastung. Vermutlich ist der Burnout das größte Berufsrisiko für Transformationsbegleiter*innen. Regeneration von Stress und Frustrationen wird vom System und von diesen Menschen selbst zu häufig individualisiert – Sabbatical, Meditation, Yoga-Kurs oder Therapie werden es schon richten.

Verbündete finden

Wer sich auf eine solche Reise begibt und gegen so viele Windmühlen kämpft, braucht zusätzliche, bestärkende Kontexte. Meistens liegen diese außerhalb der Organisation oder des Kontexts. Menschen außerhalb der eigenen Organisation, aus anderen Organisationen, anderen Branchen haben hier oft wichtige Funktionen. Sie helfen, neue Impulse und Ideen zu bekommen. Im Austausch mit Gleichgesinnten und Verbündeten erlebt man, dass es anderen Begleiter*innen von Transformationsprozessen und -projekten häufig ähnlich geht und kann von deren Suchbewegungen, Experimenten und Erfahrungen lernen. Zu häufig sind Begegnungen mit Gleichgesinnten auf Konferenzen, Branchen- oder Netzwerktreffen jedoch sehr oberflächlich. Es fehlt an geschützten Räumen, um gemeinsam zu wachsen. 

Transformation Circle

Lernen und Wachsen passiert nicht nebenbei

Angesichts überbordender Aufgaben und Anforderungen wird die Zeit zum Reflektieren des eigenen Handelns und Wirkens herunterpriorisiert. So wie ein Muskel Ruhephasen braucht um zu wachsen und wir Menschen schlafen müssen um zu lernen und zu integrieren, so braucht es auch im professionellen Bereich Reflexionsräume, um Neues zu integrieren. Sich mit anderen, zu einem festen Termin in einem festen Turnus Zeit zu nehmen, kann da eine gute Antwort sein.

Unser Transformation Circle

Vor diesem Hintergrund haben Valentin und ich uns im Spätsommer 2021 aufgemacht, einen monatlichen Lern- und Resonanzraum für 12 solcher Transformationsbegleiter*innen zu schaffen. Wir wollten Menschen verschiedener Kontexte einen gemeinsamen Rahmen zur Reflexion des eigenen Handelns und der eigenen Rolle bieten, zur Simulation möglicher Maßnahmen und zum Lernen von und mit Gleichgesinnten jenseits windschnittiger Cases auf Konferenzen und in Fachmagazinen.

Transformation Circle

Learning-Circle sind schwer angesagt

Aktuell gibt es eine Fülle von Angeboten, um mit Gleichgesinnten zu lernen, miteinander zu wachsen und eigene Vorhaben voranzubringen. Unter Lernbegeisterten sind Working Out Loud oder learn OS zum Beispiel Dauerbrenner. In festen 5er-Gruppen unterstützen sich die Teilnehmer*innen auf einer Lernreise mit individuellen Lernzielen und wöchentlich fest definiertem Fahrplan. Das äußerst umtriebige Presencing Institute empfiehlt den Lernenden mit den Coaching Circles ebenfalls ein weit verbreitetes Peer-Learning-Konzept, um die Methoden und Haltungen anhand von Fallarbeit einzuüben. Auch in den mehrmonatigen Lernformaten, die wir mit Auftraggebern (Good School Digital Transformation Club, BrandEins x Safari) konzipiert haben, war oder ist die kollegiale Arbeit an Fällen ein fester Bestandteil neben Impulsen und Übungen mit Referenten.

Unser Ansatz für den Transformation Circle

Im Unterschied dazu sollte unser Transformation Circle offener, spielerischer, sinnlicher, irritierender – und damit, so unsere These:  auch tiefer gehen. Wir haben bewusst keinen festen thematischen und prozessualen Fahrplan für die Lernreise entwickelt. Wir wollten keinen Fokus auf die Vermittlung von Wissen und Methoden setzen, sondern uns an den aktuellen und situativen Bedürfnissen einzelner Teilnehmer*innen bzw. der Gruppe orientieren. Wir wollten bewusst keine Route vorgeben, da einerseits das “Wayfinding” essenzieller Bestandteil dieser Profession ist und wir andererseits auch den Blick für den Prozess und das, was es genau jetzt für die Gruppe und jede*n Einzelne*n braucht, schulen wollten. Wir haben bewusst keine Impulsvorträge von uns oder externen Speaker*innen eingeplant, sondern haben das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmer*innen in den Vordergrund gestellt und allenfalls punktuell unser Wissen ergänzt und Erfahrungen einfließen lassen. Wie in vielen Verfahren zu Transformationsvorhaben, die wir gestalten, war die einzig feste Struktur der monatliche Rhythmus. Wie in den meisten unserer Workshops war auch klar, dass wir intensiv mit Aktionsmethoden arbeiten würden, um auch die emotional-körperliche Ebene zu integrieren. Nicht zuletzt ging es uns darum, einen Lern- und Reflexionsraum, einen Resonanzraum zu entwickeln, an dem wir selbst gern teilnehmen würden und der uns im Transformations-Kontext bislang noch nicht begegnet ist.

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Hohe Resonanz auf unseren ersten Transformation Circle

Die Rückmeldungen und das Interesse waren sehr positiv, und wir konnten eine bunt gemischte Gruppe mit sehr verschiedenen Erfahrungen und Kontexten zusammenstellen: Menschen, die in großen Unternehmen wirken und solche, die in Communitys und Netzwerken arbeiten. Selbständige Berater*innen und Vertreter*innen öffentlicher Organisationen. Frauen wie Männer. In der ersten wie in der zweiten Hälfte des Berufslebens. Von Oktober 2021 bis Juni 2022 haben wir uns jeweils am dritten Mittwoch im Monat für drei Stunden per Zoom getroffen.

Die inhaltlichen Themen in unserem ersten Transformation Circle

Folgende Themen bzw. Fragestellungen haben wir unter anderem exploriert:

  • Wie persönliche, organisationale und gesellschaftliche Transformationen einander bedingen. 
  • Wie sich Transformation (Wandel zum Plattformanbieter) und Change (Reorganisation) bei einem Konzern überlagern. 
  • Wie die nächste Iteration einer Transformationsarchitektur für einen städtischen Wasserversorger co-kreativ aussehen kann.
  • Wie fiktive Zukunftsbeiräte den Teilnehmer*innen bei ihren Projekten helfen können.
  • Wie das neue Format für die Executive-Fortbildungen einer führenden Business School funktioniert.
  • Welche Konsequenzen die Übernahme einer Partnerorganisation auf die Organisation haben mag.
  • Welche Rolle ich als Begleiter*in in einem aktuellen Transformationsprozess habe.

Die Methoden in unserem ersten Transformation Circle

Methodisch haben wir dabei tief in unser Repertoire an Aktionsmethoden gegriffen:

  • Soziodrama / Psychodrama: gemeinsame Themen und Fälle von Teilnehmer*innen erkundet, die eigenen Rollen erkundet und Eigenschaften getauscht (Magischer Marktplatz).
  • Social Presencing Theater: mit dem Körper und allen Sinnen in Stille Veränderungsprozesse (20 Minutes Dance), Anliegen (Stuck Dance, Case Clinic) und Visionen (Seed Dance) wahrgenommen.
  • Playback Theater: Erfahrungen mit Transformationsprozessen geteilt und nachgespielt, Jahresrückblick mit Storylane Playback Theater Ensemble (Leitung Noa Leibu) und Abschluss des Transformation Circle mit Uno Koro Playback Theatre (Leitung Devrim Nicolo).
  • Während die bis hier genannten Methoden ganze Sessions bestimmt haben, haben viele kleine Werkzeuge aus nun fast 3 Jahren Zoom-Feuerwerk geholfen, die 3-stündigen Sitzungen abwechslungsreich zu halten. Vieles davon haben wir dem Clowning, Playback Theater, Soziodrama, Theater der Unterdrückten, Impro-Theater, Liberating Structures und vielen anderen Ansätzen entlehnt.
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Stimmungen und Schwingungen in den Sessions

Obwohl die meisten sich vorher nicht kannten und wir uns nur virtuell begegneten, haben wir gespielt, gelacht, gezweifelt, getrauert, uns gegenseitig inspiriert, getröstet, Mut zugesprochen, waren irritiert, verloren, haben Vorhaben und Wissen geteilt, Impulse verarbeitet, Rollen und Fälle erkundet, Systemdynamiken simuliert und noch vieles mehr. Es sind wertvolle Erfahrungen und Verbindungen entstanden, die über den Transformation Circle fortbestehen.

Jedem Ende wohnt ein Zauber inne

Im Frühsommer zeichnete sich für uns selbst eine so nicht ganz erwartete Dynamik ab. Unsere Herbstplanung lief über vor neuen Projekten – und wir hatten Sorge, dass wir dem Transformation Circle in der Leitung nicht mehr gerecht werden könnten. Der Gruppe ging ein wenig die Energie aus. Uns beschlich ein Gefühl von “lieber jetzt gut enden, als später ungut”.

Aktuell spielen wir mit dem Gedanken, diese Arbeit wieder fortzusetzen. Einige Ideen, was wir beim nächsten Mal anders machen könnten:

  • Ein klarerer zeitlicher Rahmen: wir würden zukünftig Zusammenkünfte auf 6-8 Sessions oder sechs Monate beschränken und den Circle dann beenden.
  • Ein stärkerer inhaltlicher Fokus: wir spielen mit dem Gedanken, zukünftige Transformation Circle stärker auf die Bewältigung der Klimakrise zu fokussieren. Etwa eine exklusive Runde von Klima-Unternehmer*innen oder von Klima-Aktivist*innen.
  • Ein stärkerer Fokus auf das Organisationale: wir fänden es auch spannend, eine solche Runde mit Menschen verschiedener Bereiche aus einer Großorganisation durchzuführen oder nur mit Vertreter*innen aus verschiedenen Organisationen/Branchen – dort aber jeweils in ähnlicher Position.

Wenn du daran Interesse hast, nimm gern Kontakt zu uns auf und schreib ein paar Zeilen zu dir und deinen Intentionen.

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Take-Aways: was haben Teilnehmer*innen aus unserem ersten Transformation Circle mitgenommen?

Was unser erster Transformation Circle den Teilnehmer*innen gebracht hat? Das war und ist individuell sehr unterschiedlich. Hier gibt es ein paar Stimmen von Teilnehmer*innen. 

Meret Nehe:

„Für mich war der Trafo Circle ein unglaublich wertvoller Raum, in dem wir in einem Kollektiv von scheinbar zufällig zusammen gewürfelten Individuen gemeinsam auf Transformationsprozesse geblickt haben. Auf individuelle, organisationelle und systemische Transformationen, die sich oft genug als miteinander verwoben gezeigt haben. 

Mich hat am Trafo Circle immer wieder berührt, wie sich durch verschiedene Verkörperungen von Elementen der Transformation Bilder ergeben haben, die ich ohne den Trafo Circle nie hätte sehen können. Es waren innere Bilder in angeleiteten Gedanken-Reisen, es waren gespiegelte Aspekte des Lebens im Playback Theater, es waren Worte, die von Anderen gesprochen und in mir Resonanz fanden. 

Für mich bleibt ein Funken Magie zurück, wenn ich an den Trafo Circle denke. Dem Zaubertrank unabkömmliche Zutaten waren für mich etwas mehr als ein Dutzend Neugieriger, sich gegenseitig größtenteils untereinander nicht bekannt; zwei Methoden-versierte Reiseleiter; gemeinsame Lust zu lernen; einen Termin im Monat, der Raum zum spielerischen Entdecken aufmacht. 

Vom Zauber wirken noch immer Funken des Entdeckens von Elementen des Wandels und der Lebendigkeit nach, die ohne den Circle wohl unter der Oberfläche geblieben wären.“

Sophie Landes:

Für mich war der Transformation Circle eine großartige Denk- und Spielwiese für Veränderungsprozesse und neue Aktivierungs-Methoden. Was ich bisher vergeblich in vergleichbaren Peer Groups suchte, habe ich hier gefunden: Transformation auf wirklich allen Ebenen. Wir haben ganz persönliche und private Fälle, Organisationsentwicklungen und große gesellschaftliche Themen reflektiert und zusammen gebracht. Außerdem erlebte ich Transformation mit allen Sinnen und wir suchten neben kognitiven Zugängen auch immer einen emotionalen und szenischen Zugang zu einem Veränderungsprozess. Das hat meine Perspektive enorm erweitert.

Ich habe verstanden, dass Dinge oft nicht gesagt werden können, weil so viel Schwere und Komplexität in ihnen liegt aber leichter gespielt, mit Mimik und Gestik verpackt, Gegenständen sichtbar oder über Musik transportiert werden können! Auf diese Weise können auch andere mir eine Last abnehmen! Hierzu dürfen wir die Menschen in Veränderungen einladen.

Susanne Rengel:

Was mich damals zu euch hinbewegt hat: Neugier auf Räume mit Gleichgesinnten, was entsteht dann? Der Blick auf die Balance zwischen Transformation als Prozess und Verfahren. Was passiert sowieso und wo können wir hier gerade als Gestaltende andocken? Wie es war? Das war eine intensive, berührende und auch wilde Reise mit euch, die ich nicht missen möchte! Eintauchen in verschiedene Rollen im Zukunftsrat, betrachten unserer Entkopplungen. Zum Ende des Jahres der Blick auf die Archetypen, das Lagerfeuer mit unseren (gemeinsamen) Geschichten von Transformation. Was für eine Fülle: Schmerz, Unsicherheit, Hoffnung, Freude,… Das in den Körper kommen war wie ein roter Faden immer dabei: beim Tanzen, Soziodrama, Social Presencing oder Playback Theatre. Das hat uns persönlich und als Gruppe herausgefordert.

Wer sind wir und wo geht es hin? Manche Fragen bleiben unbeantwortet und zugleich gehen neue Wege auf. Ich nehme mit, in der Transformationsbegleitung künftig den methodischen Blick zu erweitern und die Teilnehmenden ganzheitlich(er) den Prozess wahrnehmen zu lassen. Das ermöglicht neben neuen Perspektiven auf Problemstellungen einen offenen, vertrauensvolleren Raum der Akteure zueinander sowie den Zugang zu intuitivem Wissen. Für mich noch ein großes Feld, was es weiter zu erforschen gilt.

Jörg Jelden

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