Konferenzen sind oft langweilig. Mit Glück gibt es gute Vorträge, spannende neue Kontakte und Gespräche in den Pausen und auf den Fluren. Aber irgendwie sind es dann doch meist passive Popcorn-Veranstaltungen für Couch- bzw. Konferenzstuhl-Potatoes. Wir haben uns sehr gefreut, im Juni einen Teil der “Innovation Days” der Lufthansa Technik gestalten zu können. Die Aufgabe war dabei klar: das passive Konferenz-Setting aufbrechen, Teilnehmer in thematischen Austausch bringen. Der Clou: Wir haben dieses Großgruppenformat so aufgesetzt, dass es ohne moderative Intervention funktioniert. Wir haben uns als Moderatoren überflüssig gemacht und uns auf die Rolle des Session-Designers und “Gastgebers” beschränkt. Damit das klappt, mussten wir natürlich den Vorbereitungsaufwand hochschrauben. Das Ganze hat enorm viel Spaß gemacht und wir haben dabei eine Menge gelernt.
Eine neue Herausforderung
Egal ob es um Strategie-, Innovations- oder Organisationsentwicklungsprozesse geht: Es gehört eigentlich immer zu unserer Aufgabe, Menschen zum Mitmachen zu bewegen, Energie und Kreativität frei zu setzen. Die Aufgabenstellung war also einerseits vertraut. Aber andererseits: das Setting überhaupt nicht. 130 Teilnehmer, und wir hatten nur knappe zwei Stunden zwischen den Keynote-Vorträgen und den nachfolgenden Sessions. Zwei Stunden, zwei Moderatoren und das Lunch-Buffet sollte in diesen zwei Stunden auch noch abgeräumt werden. Raum für gewohnte, moderierte Kleingruppen-Kollaboration? Nein, eher nicht. In diesem Beitrag geht’s darum, wie wir die zweistündige “Collaboration Session” schlussendlich gestaltet haben.
Macht was zusammen!
Ein schöner und außergewöhnlicher Juni-Tag am Hamburger Flughafen. 130 Gäste aus verschiedenen Unternehmen der Lufthansa-Gruppe, die alle etwas mit Innovationsmanagement zu tun haben, versammeln sich in den Räumen der Lufthansa Technik. Es ist 11.30 Uhr, und alle Gäste haben bereits zwei beeindruckende Vorträge rund um die Themen Innovation, Kollaboration, Intrapreneurship und Digitalisierung gehört – von Michael Faschingbauer, dessen Effectuation-Ansatz wir sehr schätzen, und von Christoph Bornschein, dem sympathisch-umtriebigen Geschäftsführer der Agentur TLGG. Bis zum Mittagessen dauert es noch ein bisschen. Zeit für Bewegung, Zeit für Interaktion. Aber eigentlich zu wenig Zeit, um vertieft an einem Thema zu arbeiten.
Erlebnisräume schaffen
Die Themen des Tages erlebbar machen und die Leute in einen Austausch miteinander bringen. So lautete in einem Satz unser Briefing für dieses zweistündige Zeitfenster. Und weil wir NICHT auf konkrete Ergebnisse hin arbeiten mussten, hatten wir in der Konzeption sehr viel Freiraum. Den haben wir genutzt und acht “Themeninseln” konzipiert, die je nach Interesse angesteuert und bearbeitet werden konnten. Es galt das Prinzip der zwei Füße: man wandert herum, sucht Inspiration und bearbeitet die Inseln, die man möchte. So gab es zum Beispiel nicht nur Feedback-Boards zu den beiden Vorträgen, die die Referenten anschließend mit in ihre Nachmittags-Workshops nehmen konnten. Wir haben die Teilnehmer auch Collagen basteln lassen, wir haben eine Zitatwand aufgebaut, auf der man sich mit einem Statement verewigen konnte, wir haben über Air Travel 2040 nachdenken lassen – und dann hatten wir noch meine persönlichen zwei Highlights.
Von der Kammer des Scheiterns direkt zum Innovation-Campus
Erstens, die Kammer des Scheiterns. Die haben wir passenderweise im einzigen tageslichtfreien Raum platziert, der uns für die Session zur Verfügung stand. Hier haben wir uns des Tools “Anti-Problem” bedient. Wenn man etwas erreichen möchte, sucht man erstmal gründlich nach den Gründen, wie man dieses Ziel auf jeden Fall nicht erreicht. Konkret: Die Gäste hatten die Aufgabe nach Gründen zu suchen, wie man Zusammenarbeit und Eigenverantwortung im Unternehmen auf jeden Fall verhindern kann. Durch die Beschäftigung mit dem Gegenteil findet man schnell Hebel, um das eigentliche Ziel zu erreichen.
Zweitens: der Innovation-Campus aus Lego. Ich bin großer Fan dieser bunten Klötzchen im Workshop-Kontext. Aber meine neue Liebe gilt der Kombination aus Lego-Steinen und Überraschungseiern. Letztere geben ja nicht nur Nervennahrung, sondern fördern auch Überraschungen zutage, genau wie die Zukunft selbst. Und es war eine helle Freude zu sehen, wie die Leute ihre Ü-Ei-Inhalte in die Bauwerke integriert haben. Kann es Zufall sein, dass am Vormittag zwei Mal das Wort “Leapfrogging” fällt, und dann entspringt da tatsächlich ein Frosch dem gelben Schoko-Ei-Plastikkern und wird flugs zwischen den “Leuchtturm des Weitblicks” und den “Datenfluss” platziert. Kann man sich nicht vorher überlegen, sowas.
Gute Ergebnisse trotz Ergebnisoffenheit – oder gerade deswegen?
Obwohl wir nicht auf einen konkreten Output und nächste Schritte hingearbeitet haben, gab es am Ende viele gute Ergebnisse. Und das in zweierlei Hinsicht. Weil wir viel Wert auf “schöne” Materialien gelegt haben und die Teilnehmer so wunderbar mitgemacht haben, ist der Output quasi auch ein Blickfang. Oder, wie unser Auftraggeber Alexander Simon-Sichart sagte: “Das sieht so gut aus, dass muss man sichtbar lassen.” Und auf inhaltlicher Ebene bieten die Ergebnisse auch ein gutes Sprungbrett, um damit unternehmensintern weiter zu arbeiten.
Konferenzen mit interaktiven Formaten auflockern: Erfahrungen von den @LHTechnik Innovation Days. Klick um zu TweetenUnd wo bleibt die Moderation?
Die ist bei solchen interaktiven Sessions entbehrlich. Zumindest fast. Unser Ziel war es, die Session so aufzubauen, dass wir als Moderatoren gar nicht gebraucht werden. Das eigentliche Grundziel jeder guten Führungskraft: sich selbst überflüssig machen. Zwar haben wir zu Beginn fünf Minuten den Ablauf und die Regeln erklärt, aber in der Session selbst haben wir uns dezent zurückgehalten, konnten ganz in die Menge der betriebsamen Teilnehmer eintauchen und die Rolle des Gastgebers übernehmen, wie sie im Beitrag zu Corporate BarCamps geschildert wurde.
Damit das funktioniert braucht es aber eine gute Vorbereitung, klare Arbeitsanweisungen und eine Mechanik, die motiviert. Das haben wir durch mehrere Punkte erreicht:
Mit einer Überraschung starten: Wir haben am Vorabend unter alle Stühle im Vortragssaal kleine Beutel geklemmt: ein Starter-Kit für die Session. In jedem war ein kleiner Zettel mit den drei wesentlichen Hinweisen zum Ablauf der Session, sowie ein Stift und ein Set Artefact-Cards. Diese Karten sollten genutzt werden, um eigene Ideen zu notieren und Kontaktdetails mit anderen auszutauschen – individuelle und situative Visitenkarten quasi.
Austausch leicht machen: Zusätzlich gab es in diesem Beutel einen Aufkleber, auf dem jede(r) zu Beginn der Session schreiben sollte, wofür er/ sie Experte ist bzw. bei welchem Thema andere diese Person um Rat fragen können.
Arbeit soll Spaß machen: Wir haben die einzelnen Stationen so gestaltet, dass es Lust macht, daran zu arbeiten. Dabei spielt das Thema bzw. der Inhalt genauso eine wichtige Rolle wie das Material. Wir haben beispielsweise für Collagen extra große Papp-Boards besorgt, die mit ihren 1,19m x 2,40m einfach mal ziemlich groß waren. Dazu vier Zentimeter dick. Aus dem Zeug werden sonst Türen gemacht.
Klare Arbeitsanweisungen: Die Arbeitsaufgaben an den einzelnen Stationen müssen klar formuliert und selbsterklärend sein. Sie müssen ein Handeln auslösen und idealerweise auch eine Interaktion zwischen denen, die gemeinsam an dieser Station arbeiten. Da wir nicht wussten, ob und wie das funktioniert, hatten wir darum gebeten, dass von Seiten des Veranstalters an jeder Station ein “Gastgeber” steht, der mit Rat und Tat helfen kann. Im Nachhinein hat sich gezeigt: das war gar nicht unbedingt notwendig.
Spielmechanik einbauen: Um die Leute zu motivieren, die Stationen zu bearbeiten, haben wir uns einer Spielmechanik bedient, die zu einigem Schmunzeln führte. Wir haben pro Station Punkte vergeben, die die Gäste sichtbar ans Namensschild kleben mussten. Und vorher haben wir die Ansage gemacht, dass nur diejenigen Mittagessen bekommen, die mindestens vier Klebepunkte vorweisen können. Letztendlich hatten am Ende der Session viele Teilnehmer ihr komplettes Namensschild mit Punkten zugeklebt. Für uns ein Zeichen, dass es vielen Spaß gemacht hat. Und die zweite Kennzahl für Erfolg war die, dass selbst in der Mittagspause noch viele Leute an den Stationen standen und weitergemacht haben.
Fazit
Diese Session vorzubereiten und durchzuführen hat Riesenspaß gemacht. So groß die Unsicherheit anfangs auch war, ob das alles so klappen würde, wenn wir uns als Moderatoren rausziehen, so groß war die Freude am Ende, dass dieses Event so wunderbar gelaufen ist. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Die richtigen Materialien können einen gewaltigen Unterschied machen: Hätten wir die Stationen “nur” auf Brownpaper und mit Post-It´s bearbeiten lassen, wären die Materialien mit großer Wahrscheinlichkeit im Altpapier gelandet. So aber sind sie ein echter Hingucker geworden, den man nicht einfach entsorgt. Mein größtes Erlebnis (neben Ü-Ei-Lego) war die Erfahrung, wie wunderbar es funktionieren kann, als Moderator Interaktionen auslösen – ohne dabei zu moderieren. Das setzt allerdings einen erheblichen Vorbereitungsaufwand voraus – und der Rahmen der Veranstaltung muss auch stimmen.
Wenn Du auch Konferenzen organisierst und diese mit auflockernden interaktiven Formaten bereichern möchtest, können wir uns gerne dazu austauschen.
Credits: Ein großes Danke geht an Simone Ashoff von der Good-School, die uns an die Lufthansa Technik weiterempfohlen hat. Dein Karma-Konto ist wieder ein paar Punkte dicker, Simone!
danke für diesen Bericht, ich hab mich sehr gefreut, dass jemand außer mir solch gute Erfahrungen mit Veranstaltungen „ohne Moderation“ (denn eigentlich beinhaltet der Begriff „facilitation“ auch das Gestalten des Prozesses…) Gern möchte ich mich mit euch austauschen – einen Termin finden wir vielleicht über http://doodle.com/petranovskaja ?