High Five #34: Matscheiernde Seiltrance am wertschätzenden Kaminfeuer

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High Five

Lesedauer 5 Minuten

Hallo,
2023 ist fast um, und wie wir es – Joanna Macy sei Dank – in Workshops gerne tun, soll auch dieser Newsletter starten: mit Dankbarkeit.

Wir sind dankbar zu sehen, was sich bei unseren Kunden getan hat und ein Teil davon zu sein: wie Miteinander und Wertschätzung gewachsen sind, wie sich Zusammenarbeit verbessert, wie Strategien und Strukturen sich nicht nur entwickelt haben, sondern auch umgesetzt wurden.

In High Five #24 fragten wir „Facing the mess, what’s our leverage?“ – und verwiesen auf einen zweiten Newsletter, der direkt nach Start feststeckte. Wir sind dankbar, dass “The mess” – also dieses große Knäuel aus Klimakollaps, sozialen Spannungen, Dekolonialisierung, Gender Equality, Rassismus – in den vergangenen Wochen endlich wieder mehr Raum in unserer Arbeit findet. Erste Spuren davon finden sich auch in dieser Ausgabe.

Nicht vergessen wollen wir unsere Dankbarkeit für dich als Leser*in. Für die Treue, das Weiterleiten, an uns Denken. Dafür, dass du Teil unserer Spielwiese bist, wo wir einfach mal zweckfrei im Schnee an Fotos arbeiten dürfen. Aber auch für das Interesse und das Echo auf die offenen Experimente. Zuletzt die spektakulär spekulativeKatastrophenübung. Oder als Nächstes: siehe Einladung für den Story-Circle am 17. Januar ganz unten.

In diesem letzten High Five für das Jahr 2023 gibt es noch einmal fünf Inspirationen aus unserer aktuellen Arbeit. Ganz zum Schluss findest du noch eine Gelegenheit, im neuen Jahr mit uns zu experimentieren. 

Komm’ gut rüber! Sei liebevoll mit dir und mit anderen,

Dirk, Jörg und Valentin


1. Zack. Kracks. Eiermatsch.

Es ist schön, ein paar Spielchen im Repertoire zu haben, die schnell funktionieren und quasi auf Knopfdruck Energie und Spaß bringen. Noch schöner ist, wenn man neue kennenlernt – und das auch noch durch Auftraggeber*innen. Neulich im Offsite saßen alle nach dem Abendessen am Tisch, als die Kundin ein handgroßes Plastikei aus der Handtasche zog und sagte: Wir spielen jetzt eine Runde Eiermatsch. Und das geht so: Von einem Stapel wird eine Karte mit einer Aufgabe gezogen. Zum Beispiel: Alles, was man trinken kann. Oder: Musikinstrumente. Oder: Was man auf einem Spielplatz finden kann. Dann wird das Ei eingeschaltet und beginnt zu ticken. Jede*r sagt eine Antwort und gibt das Ei dann weiter. Der Clou: Das Ei hat einen Timer, der nach Zufallsprinzip funktioniert. “Explodiert” das Ei bei der Person, die es hält, bekommt sie die Karte und eine neue Runde beginnt. Mindestens so gut lässt sich das mit eigenen Karten/Fragen spielen – etwa „was bei uns im Team super läuft“ oder „was unsere Strategie klären muss“. Geht schnell, macht Spaß, sorgt für Lacher. Einziger Wermutstropfen: eine riesige Verpackung und ein Elektroei, das nicht dauerhaft bruchsicher wirkt. Und eigentlich braucht man nur dieses bekloppte Ei mit Zufallstimer. Wer es schafft, eine Eieruhr mit Zufallstimer (paradox?) zu finden, möge sich bitte bei uns melden!


2. Blinde Geometrie: “Hand in Hand zum Quadrat”

Vertrauen, Führen und Folgen, Kommunikation, Perspektivwechsel – in diesem unkomplizierten Spiel steckt so einiges. Und es lässt sich prima variieren. In Kürze geht es so: 

  • Im Raum liegt ein langes Seil auf dem Boden
  • Teilnehmer*innen (8-20 ist prima – ggf. auch mit einer beobachtenden Gruppe arbeiten) stehen im Kreis und verbinden sich die Augen
  • Nun gibst du den Leuten reihum ein Stück des Seils in die linke Hand und machst klar, dass diese Hand nicht am Seil rutschen darf, sondern fixiert bleiben muss
  • Wenn alle eine Hand am Seil haben, verkündest du die Aufgabe: „Ihr bildet jetzt aus dem gesamten Seil ein großes Viereck/Rechteck/Quadrat – wenn ihr alle so weit seid, legt ihr das Seil ab und nehmt die Augenbinden ab.“

Mit dieser Intervention haben wir schon hervorragende und tiefgehende Debriefings erlebt – zum Beispiel über immer wieder auftretende Kommunikationsmuster, mangelnde Problemanalysen und natürlich die Frage, wie Führung in dieser Runde verteilt ist. Ein Highlight-Dialog aus den vergangenen Wochen während des Spiels:

eine Teilnehmerin fragt laut:

  • “Sollten wir nicht mal unsere ganzen Ideen koordinieren?”

…darauf wie aus der Pistole der Teilnehmer neben ihr laut:

  • “Nein!”

3. Raus aus der Problemtrance, rein in die Gestaltungslust

In den letzten Workshops haben wir wiederholt erlebt, wie Gruppen in Problemtrance geraten. Sie graben sich immer tiefer in das ein, was es schwer macht und was alles nicht geht. Die Stimmung wird bleiern und der Himmel droht auf den Kopf zu fallen. Auswege liegen etwa im Werkzeugkasten der Appreciative Inquiry, genauer: im Appreciative Interview. 
Dafür erinnern sich Teilnehmer*innen in Tandems an Situationen und Erfahrungen, in denen sie andere schwierige Situationen gemeistert haben und wie es damals gelang. Das anschließende Teilen und Sammeln dieser Faktoren liefert dann Impulse für die vorliegende Herausforderung. 

Neben konkreten Gestaltungsideen gewinnt die Gruppe Handlungsmacht und -lust zurück. Das hat auch unseren jüngsten Workshops wieder sehr gutgetan. Die Werkzeuge des Appreciative Inquiry waren bei uns etwas in Vergessenheit geraten und es ist schön, sie wieder in Aktion zu erleben. Das Appreciative Interview ist auch in der deutschen Fassung von Liberating Structures  beschrieben, die Anja Kässner und Birgit Nieschalk jüngst veröffentlicht haben.


4. Echt jetzt, Problemtrance sucks, Design Studio rocks

Es gab eine Zeit, da haben wir deutlich mehr mit Produktentwicklungsprozessen und Innovations-Workshops am Hut gehabt. Da war es gängig, mit Methoden wie “Design Studio” Probleme zu erkunden und Lösungen zu finden. Das Tolle an diesen Werkzeugen: sie sind auch in anderen Workshopsituationen kraftvoll. Ungeplant steckten wir kürzlich in einer fiesen plenaren Problemtrance – und haben dann kurzerhand 60 Minuten Design Studio eingeschoben. Und damit die Energie in die individuell-iterative Entwicklung von Lösungsideen gelenkt. Und zwar so:

  • Crazy 88 Minuten jede*r für sich schnelle 8 Lösungsansätze auf 1 DIN A4 Blatt skizzieren.
  • Tandem 1: 8 Minuten lang 3 der eigenen Ansätze vorstellen und Feedback einholen.
  • Allein: 8 Minuten einen Ansatz ausarbeiten – mit Skizze, starkem Titel, Features…
  • Tandem 2: 8 Minuten nochmals mit Feedback besser machen.
  • Allein: 8 Minuten auf DIN A3 ausarbeiten – mit Liebe, Ausdruckskraft, Klarheit, Titel, Skizzen etc. 
  • Plenum: 3 Minuten Pitch von allen.
  • Heatmap oder Voting mit Dots.

Das hat nicht nur in diesem Fall raus aus der Problembewunderung und hin zu handfesten und handhabbaren Lösungsansätzen und neuen Framings geführt.


5. „Story Circle“ als Sand im Getriebe des Status quo

“The Mess” oder sagen wir: die Polykrise soll Teil unserer Arbeit sein. Wenn wir aber zum Beispiel für ein Management-Offsite angefragt werden, sind die großen Krisen unserer Zeit und wichtigen Themen der Welt mitnichten automatisch auf der Agenda. Was hingegen meist auf der Agenda steht: “wir wollen uns auch menschlich näher kommen”. Und genau da liegt aus unserer Sicht ein Möglichkeitsraum. Denn spätestens als Mensch ist jede*r Manager*in von der Polykrise betroffen. Genau für diesen Möglichkeitsraum haben wir folgende Intervention getestet:

Wir laden abends außerhalb des regulären Workshop-Programms in einen Story-Circle ein. Hier sitzen alle im Kreis wir stellen eine Frage:

“Angesichts der Lage in der Welt und der Zukunft: welche Erlebnisse möchtest du teilen, welche Geschichten/Storys – wobei Story hier weit gefasst ist, vor allem geht es darum, eigenes Erleben zu erzählen, keine theoretischen Einlassungen zur Lage in der Welt, sondern ein echtes, persönliches Erlebnis.”

Bevor wir selbst mit der ersten persönlichen Geschichte den Ton setzen, gibt es klare Regeln – so ähnlich wie hier beschrieben. Formate wie „Story Circle“ gibt es viele sich ähnelnde – vom Erzählcafé bis zur “Listening Hour”. Wir haben damit nun jedenfalls eine Intervention im Gepäck, die wir öfter einsetzen wollen. 


Danke, seltener und schon wieder geschmolzener Sankt-Pauli-Schnee, für die schnelle Hilfe bei den Bildern für diese Ausgabe.

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