High Five #30: Von paritätischen Rede-Titeln und sozialem Taschen-Theater

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Jörg Jelden

Lesedauer 5 Minuten

Hallo zusammen

für die einen ist es März, die anderen vergeben den Titel „nahender Frühling“. Wir packen unsere Taschen mit Frische und Erwachen. Ohne Spur von Frühjahrsmüdigkeit spielen wir wieder fünf Geschichten rund um Workshops und Transformationsbegleitung in dein Inspirationsgemüt. Das macht uns auch deshalb so viel Freude, weil wir darüber auch die  Gelegenheit haben, unsere Erlebnisse und Erfahrungen aus Projekten und Experimenten zu rekapitulieren, zu reflektieren und zu lernen.

Aktuell beschäftigt uns das Experiment wie man die beiden Aktionsmethoden Soziodrama und Social Presencing Theater (SPT) zusammenführen kann. Das ganze wird in einen Fachartikel der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie münden. Dazu suchen wir kurzfristig ein Hamburger Team (5 bis 10 Personen), das Ende März/Anfang April mit uns ein Anliegen erkunden will. In einer Session (2 bis 3 Stunden, in Präsenz) möchten wir dieses Anliegen mit einer Mischung aus Soziodrama und SPT erkunden – ohne Honorar.

Wenn dein Team Zeit und Lust hat, ein Anliegen experimentell und in Präsenz zu erkundigen, melde dich gern bei uns mit ein paar Zeilen zu euch und eurem Anliegen.

Schreib uns

Auf bald,
Dirk, Jörg, Valentin


1. Titel: „… und ich nenne dich …“

Oft werden Workshops funktional angekündigt: Klausur-Tagung, Team-Offsite, Geschäftsleitungs-Quarterly, Strategie-Workshop, Budget-Tagung, Leadership Tag, … daran ist nichts falsch. Manchmal ist es eine verpasste Chance, der Veranstaltung über einen guten Titel einen inhaltlichen Spin zu geben. Gute Titel und Überschriften vermitteln nicht nur das zentrale Thema, um das es geht, sie machen es merkfähig, können einladen und Lust auf Mitgestaltung entfachen. Dabei geht es nicht darum dass der Titel Kreativpreise abräumt, sondern bei den Teilnehmer*innen Resonanz erzeugt.

Zu unseren „schönsten“ Titeln gehörten „Strategie-Prolog“ (Zukunftsszenarien und Teambuilding als Vorstufe des inhaltlichen Strategieentwicklungsprozesses) sowie „Fokus 2023-27“ (Konzentration auf ein zentrales Zukunftsthema als Voraussetzung für massive Etat-Kürzungen).

Durch einen Titel wirkt das Anliegen des Workshops über diesen hinaus. Denn ein Titel kann in die Kalendereinträge aufgenommen werden, auf dem Einladungstext und der Agenda erscheinen, auf ein Begrüßungsposter gemalt werden, zu Übungen inspirieren, die Ergebnis-Dokumentation eröffnen und vieles mehr. Manchmal schlagen wir als Facilitator*innen so einen Titel vor. Manchmal bitten wir Auftraggeber*innen einen Titel zu entwickeln. Wir haben die Teilnehmer*innen eines Workshops auch schon den Titel eines Folgeworkshops selbst entwickeln lassen. Mit Titulierungen zu arbeiten, funktioniert dabei auch im Großen, wenn etwa der ganze Transformationsprozess einen Namen erhält.

Wenn es nicht gelingt, einen Titel zu finden, dann ist meistens irgendetwas diffus – beispielsweise gibt es zu viele Themen oder unklare Ziele. Kontraindikation für die Arbeit mit Titeln sind Workshops, in denen die Gruppe selbst den kompletten Rahmen im Workshop entwickelt und ein Titel nicht sinnvoll vorab festgelegt werden kann.


2. Kulturtaschen für Workshop-Kultur

Über Jahre hatten wir ein gemeinsames Büro und gemeinsames Material. Dieses wurde in transparenten Boxen eines schwedischen Möbelhauses gelagert und transportiert. Durch die Pandemie hat sich unser Büro verflüchtigt und wir haben individuelle Material-Lager und Transportverpackungen entwickelt. Dazu zählen beispielsweise die schönen Taschen von Nähe/ hightide. Marker passen toll in Größe SGröße L ist wie gemacht für Post-Its verschiedener Größen oder eine bunte Materialsammlung fürs 3D-Mapping (s. „9. Eure Zukunft in 3D“). Die Taschen lassen sich im Reisegepäck gut verstauen, und es macht Freude, die schönen bunten Taschen auf dem Materialtisch im Raum zu platzieren. Einziger Haken: sie sind nicht ganz billig. Wir haben sie übrigens bei Rosa Quitte in Hamburg gekauft.


3. Community Building mit dem Playback Theater: ein Mini-Case

Geschichten und Theater haben eine besondere Kraft zu emotionalisieren und zu verbinden. Wir sind seit einiger Zeit begeistert und aktiv in Sachen Playback Theater. Menschen erzählen live ein Erlebnis oder eine Erfahrung, und ein Ensemble bringt diese “Geschichte” in improvisierter Form auf die Bühne. Wir haben das Playback Theater in virtueller Form bereits als Jahresrückblick im Transformation Circle eingesetzt, um auf die gemeinsame Zeit zu blicken und einen guten Abschluss zu finden. Nun hatten wir die Gelegenheit, es in Präsenz und bei einem Kunden zu integrieren: Wir begleiten das Bürgerhaus Wilhelmsburg, ein soziokulturelles Stadtteil- und Veranstaltungszentrum für die Hamburger Elbinseln. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg überarbeitet seine Kommunikationsstrukturen und strukturiert in dem Zusammenhang auch die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Institutionen auf den Elbinseln neu. Für die Auftaktveranstaltung der neuen Vernetzungsreihe wurde das Ensemble der Playback Bühne Hamburg eingeladen. Netzwerkpartner*innen erzählten von ihren Erwartungen an so ein regelmäßiges Treffen, von konkreten Erfahrungen und Erlebnissen in und mit Netzwerken sowie von ihren Wünschen und Hoffnungen. Über viele kleine zurückgespielte Geschichten wuchs gemeinsames Vertrauen, gegenseitiges Verständnis und die Lust, mehr miteinander zu machen. Anschließend sind über den „Marktplatz der Macher*innen“ (s. „1. Die Unsicherheit umarmen“) einige konkrete Ideen und neue Kooperationen entstanden. Wir sind begeistert von Format und Ensemble und gespannt darauf, so etwas im Rahmen eines Großgruppenformats und in der Prozessbegleitung mit anderen Organisationen einzusetzen.


4. Paritätische Redebeiträge – politische Ziele in Workshop-Methoden

Dass wir gerne auch im politischen Zirkus wirken würden, ist spätestens seit diesem Blogbeitrag zu Sondierungsgesprächen vor 6 Jahren kein Geheimnis. Unlängst war es endlich so weit und wir haben einen Wahlprogramm-Workshop der Grünen aus Hamburg-Eimsbüttel moderiert. Wir haben an dem Tag auch methodisch etwas mitgenommen – eine strukturelle Intervention für Gleichberechtigung. Die Diskussion lief, 3 Männer hatten die Hand schon oben, da meldete sich eine Frau. Die Gruppe wies uns freundlich darauf hin, dass es die Regel gibt, dass immer im Wechsel Frau und Mann an die Reihe zu nehmen wären. Gesagt getan. Und merke: wer wirklich etwas verändern will, hat an zig Stellschrauben (auch des Workshop-)Alltags Möglichkeiten zu intervenieren. Nach dem Workshop im Frauenstatut von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nachgelesen heißt es zur Regelung konkret:

§2 Absatz 1:

  1. Das Recht von Frauen auf mindestens die Hälfte der Redezeit ist zu gewährleisten, dazu werden getrennte Redelisten geführt (Frauen/Offen), mindestens jeder zweite Redebeitrag ist Frauen vorbehalten. Ist die Redeliste der Frauen erschöpft, so sind die Frauen der Versammlung zu befragen, ob die Debatte fortgesetzt werden soll.

Kurzum: beim gegebenen Ziel der Gleichberechtigung ein cleverer Hack – Kulturveränderung ist ohne struktuerelle Interventionen schließlich kaum zu schaffen. Wir freuen uns jedenfalls schon auf die nächste Veranstaltung!


5. Recap aus Rollen

Der Workshop kommt dem Ende entgegen. Alles, was wichtig war, wurde erkundet. Ergebnisse sind gesichert, Aufgaben verteilt. Dies ist der Moment für eine inhaltlich-prozessuale Draufsicht. Was haben wir alles geschafft? Wie haben wir das erreicht? Dafür haben wir neuerdings eine schöne, neue Aktionsmethode im Werkzeugkoffer: Das Recap aus Rollen. Dafür lassen wir die Teilnehmer*innen aufstehen und auf einer Seite des Raums versammeln. Mit einem Prompt wie diesem leiten wir dann ein: “Aus all dem, was ihr heute erarbeitet, was ihr geschafft und verpasst, wie ihr miteinander gearbeitet habt, daraus wurde ein Dokumentarfilm gemacht. Versetzt Euch in die Rolle von Unternehmensberater*innen, die diesen Film ansehen, und blickt auf den Prozess und die Ergebnisse. Was fällt euch als Unternehmensberater*innen auf?“ Die Teilnehmer*innen sprechen dann ein paar Sätze aus dieser Rolle. Dann wandern wir weiter zu nächsten Seite des Raums. “Ihr habt den Film als Kund*innen von Euch gesehen. …” Wieder holen wir ein paar Statements aus der Gruppe, bevor wir zu dritten Seite weiterdrehen. “Nun betrachtet es aus der Rolle Eurer Gesellschafter*innen.” Die vierte Raumseite ist dann die Perspektive von Mitarbeiter*innen. Es müssen natürlich nicht genau diese vier Rollen sein, sondern wir passen das an. Dieses Rekapitulieren des Prozesses und der Ergebnisse über Rollen ist ein guter Einstieg in die Abschlussdiskussion bzw. einen Check-Out.

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