„Change-Management – wie schlagen wir Brücken von Alt zu Neu?“ Das ist das Thema der aktuellen Blogparade von intrinsify.me. Was für eine herrliche Gelegenheit sich ein paar Gedanken zu machen, wie Wandel in Organisationen anders vonstatten gehen könnte. In meinem Beitrag habe ich fünf Zukunftsthesen formuliert. Und ja, vieles davon ist auch heute schon gelebte Praxis in bestimmten Branchen und Nischen. Aber der klassische Change-Management-Ansatz, der vorher definierte Strategien umzusetzen hat, ist nach wie vor weit verbreitet. Und den halte ich für falsch oder zumindest für überholt. Das ganze sind, wie gesagt, Thesen. Und Thesen sollen zum Nachdenken anregen und Diskussionen anstoßen. Ich schreibe das hier daher bewusst pointiert und überspitzt.
These 1. Vom Change-Management zur Strategie-Aktivierung: Denn Planung und Umsetzung gehören zusammen
Der Grundfehler des klassischen Change-Management-Ansatzes liegt für mich in einer künstlichen Trennung von Strategie-Entwicklung und Change-Management. Schlaue Strategen übernehmen angeblich das Denken und entwickeln den Plan. Die fürsorglichen Change-Manager sollen dann die Leute “mitnehmen”. Diese Denkweise halte ich ebenso und aus den gleichen Gründen wie Mark Poppenborg für überholt. Wenn wir Unternehmen in Strategie- und Veränderungsprozessen begleiten, versuchen wir diesen Bruch zu vermeiden und immer auch die Implikationen auf Abteilungen, Teams, und Personen mitzudenken – und diese Akteure wo es passt mit einzubinden (siehe auch These 5.). Beim Digital Transformation Club der Good School hatten wir Robert Wreschniok vom Munich Leadership Institute eingeladen, der von Strategie-Aktivierung statt Change-Management spricht. Dort geht es darum, Strategien zu konkretisieren und soweit herunterzubrechen, dass möglichst viele Menschen in der Organisation wissen, was sich für sie persönlich ändert. Es wird herausgearbeitet, wie sich der Umbruch vollziehen soll und worauf es dabei für jeden einzelnen ankommt. Aber letztlich bleibt hier die Linearität erhalten: erst die Strategie und dann der „Change“. Sicher aus pragmatischen Gründen: denn so sind viele Unternehmen mit ihren Strategie- und HR-Abteilungen noch immer aufgestellt.
These 2. Vom Change-Management zum Organisationsdesign: Denn es menschelt zu sehr.
Change-Manager kümmern sich nach meinem Empfinden heute viel zu stark um die Befindlichkeiten von Betroffenen. Sie verstehen sich oft als Kümmerer für die armen Menschen, die umstrukturiert werden, sich verändern müssen und denen neue Strukturen übergestülpt werden. Redewendungen wie “die Menschen mitnehmen” oder “jemanden abholen” sind Ausdruck für diese angenommene Unmündigkeit der Betroffenen. Mich stört nicht, dass jemand versucht, sich um die Menschen zu kümmern. Mich stört, dass es auf eine Weise getan wird, die nichts an den Verhältnissen ändert. Change-Management in seiner heutigen Form verändert nichts, sondern versucht häufig “nur”, die Umstände erträglicher zu machen. Und das finde ich unerträglich.
In der Beratung setzen wir daher eher auf strukturellen Ebenen an. Wir betrachten z.B. die drei Seiten der Organisation (Schauseite, formale und informelle Seite), schauen uns das Zusammenspiel von Hierarchien, Programmen (also Strategien, Leitbilder, Prozesse, …) und Personen an, wie dies offiziell geregelt ist und wie es tatsächlich gelebt wird, welche Konflikte im Organisationsdesign angelegt sind und was im Unternehmen über Führung im Sinne von Eigeninitiativen Einzelner bewältigt wird. Und anschließend gestalten wir gemeinsam mit ausgewählten Beteiligten neue Organisations-Ideen, die dann im Kleinen ausprobiert werden (siehe These 3.). Wenn wir darüber sprechen, nennen wir es meistens Organisationsdesign. Organisationsentwicklung ist irgendwie treffend, aber sperrig. Und Organisationsdesign geht einem leichter über die Lippen.
These 3. Vom Change-Management zum Explorationsmanagement: Denn Neues muss verprobt werden
In der klassischen Lehre wird der Plan umgesetzt, ohne sich vorher zu vergewissern, ob das wirklich eine gute Idee ist. Ohne vorzudenken, welche Folgeprobleme man sich mit diesem Plan einhandelt. Ohne auf Probleme zu reagieren und den Plan zu adaptieren. Und in den seltensten Fällen läuft es problemlos nach Plan. Wir erleben es immer häufiger, dass Neues über Organisations-Prototypen oder Pilotprojekte ausprobiert und iteriert wird und anschließend auf Basis der gemachten Erfahrungen entschieden wird, wie es mit dem Projekt insgesamt weitergeht. Bei solchen Herangehensweisen braucht es Change-Manager, die diese Piloten mit konzipieren, begleiten, auswerten und in das Unternehmen einbetten. Diese Rolle hat jedoch mehr mit einem Scrum-Master denn mit klassischem Change-Manager gemein. So wird es zukünftig auch zu den Kompetenzen von Change-Managern gehören, schnell gut funktionierende Teams zusammenzustellen. Wie so etwas geht, kann man in diesem großartigen Artikel von Christine Wodtke nachlesen.
Perspektivisch und angesichts steigender Komplexität kann sich der Strategie-Prozess damit auch umkehren. Statt Change-Management gibt es ein Explorationsmanagament. Unter dessen Anleitung wird auf breiter Basis experimentiert – gern unter Mitwirkung unterschiedlichster Beteiligter (siehe These 5). Was sich bewährt und funktioniert, wird anschließend in feste Strukturen gegossen und zur Strategie erklärt. Neues ist das dann nicht das Ergebnis von Planung, sondern das Ergebnis von Zufällen oder Glück, Irrwegen und Iterationen. Judith Andresen hat kürzlich einen schönen Artikel verfasst, der dazu irgendwie passt. Und auch wenn das verrückt klingt und überhaupt nicht der reinen Lehre entspricht, so eine Form der Strategie-Entwicklung und des Change-Managements sind weit verbreitet. Schon Henry Mintzberg beschreibt ihn in seinem Klassiker Strategy-Safari.
5 Thesen für besseren Wandel in Organisationen #ChangeManagement von Morgen Klick um zu TweetenThese 4. Vom Change-Management zum Transformationsmanagement: Denn Unternehmen wollen Mitarbeiter loswerden
Die meisten großen Unternehmen haben ein ausgemachtes Personalproblem. Sie brauchen einerseits dringend neue Köpfe und neues Wissen. Gleichzeitig haben sie eine große Zahl an Mitarbeitern, für die man immer weniger Verwendung hat und die sich auch nicht sinnvoll und in der erforderlichen Geschwindigkeit fortbilden lassen. In einem Land wie Deutschland lassen sich Mitarbeiter aber nun mal nicht so einfach einstellen und entlassen. Einerseits wirkt jeder zusätzliche Mitarbeiter negativ auf Anleger und Investoren. Andererseits gibt es einen umfassenden Kündigungsschutz und starke Betriebsräte. Nicht selten werden nicht mehr benötigte Mitarbeiter in Auffanggesellschaften “geparkt” oder permanent hin- und hergeschoben. So hört man Marketingverantwortliche häufig fluchen, weil man die Marketingabteilung gern mal zu so einem internen Auffangbecken macht. Denn so ein bisschen Marketing könne doch jeder und jede irgendwie. Der Frust auf allen Seiten ist entsprechend hoch und die Wertschätzung gering.
Hier gibt es ein unbesetztes Handlungsfeld für das Change-Management von Morgen. Zukünftige Change- Manager werden mit den freigesetzten Mitarbeitern Programme aufsetzen, wie sie wieder sinnvolle Tätigkeiten in oder auch außerhalb des Unternehmens übernehmen könnten. Frithjof Bergmann hat mit seinem Zentrum für Neue Arbeit seit den 1980er-Jahren in der sterbenden Automobilstadt Flint spannende Vorarbeit geleistet. Als Vordenker der New Work Bewegung war er auch kürzlich beim Xing New Work Experience.
These 5. Vom Change-Management zum Partizipationsmanagement: Denn Neues braucht die Unterstützung von vielen
Unternehmen sind schon heute sehr stark in komplexe Geflechte aus Zulieferern, Partnern, Dienstleistern, Plattformen etc. eingebunden. Die Akteurslandschaft von Unternehmen wird auch in Zukunft vermutlich nicht kleiner werden. Zudem liegt schon heute eine Vielzahl von Aufgaben in Unternehmen quer zu bestehenden Strukturen oder erfordern eine intensive Abstimmung untereinander sowie mit externen Partnern, Lieferanten oder Wettbewerbern. Hier kommt man mit klassischer Strategie-Entwicklung plus Change-Management nicht wirklich weiter. Vielmehr braucht es eine Gleichzeitigkeit. Die Beteiligten müssen frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. Sie müssen die Gelegenheit haben, frühzeitig Ideen und Feedback einzubringen und in den weiteren Entscheidungsweg eingebunden werden. Denn wenn Beteiligte Teil der Strategie und Planung sind, können diese während dieser Zeit bereits informell in ihren Unternehmen wirken. Das ist z.B. auch einer der Gründe, warum wir am Ende jeden Workshops immer versuchen, Quick Wins zu identifizieren, die bereits morgen umgesetzt werden können. Das sind kleine Schritte, die von den Beteiligten in die Organisation(en) getragen werden.
Es muss geklärt werden, wer wie weit an welchen Entscheidungs- und Explorationsprozessen beteiligt ist. Teilweise werden wichtige Entscheidungen vielleicht auch mal gemeinsam getroffen werden. Dabei geht es nicht so sehr um Basisdemokratie, bei der alles von allem gemeinsam (und schlimmstenfalls im Konsens) entschieden wird. Vielmehr geht es darum den richtigen Umfang der Beteiligung zu definieren, um nicht mehr, aber auch nicht zu wenig Mitwirkung von Akteuren und Stakeholdern zu bekommen und falsche Hoffnungen zu wecken. Change-Management wird damit zum Beteiligungsmanagement.
Change-Management von Morgen. Mein Fazit:
Vom Wissen zum Handeln. Denn Neues braucht engagierte Taten
Ich wünsche mir, dass auch im Kontext von agilen Arbeitsweisen, Reinventing Organisations oder New Work weniger ideologisch argumentiert wird. Mantramäßig wird z.B. gefordert, das Silo-Denken zu überwinden oder Hierarchien abzuschaffen, ohne dass jemals geklärt wird, welche Silos eigentlich gemeint sind, inwiefern so etwas überhaupt möglich ist oder was ohne definierte Hierarchien zu erwarten ist (z.B. die Dominanz informeller Hierarchien). Es wird selten vorgedacht, was man sich durch eine Abschaffung von Silos vermutlich einhandeln würde (z.B. neue Silos). Oder es werden vollkommen neue Typen von Führung ausgemacht, die eher beraterisch-coachend wirken sollen, als über Anweisungen oder Kontrolle. Ich wünsche mir mehr Taten und Experimente, die helfen Neues ideologiefrei in die Welt zu bringen. Dazu gehört auch der Mut, erste Schritte zu wagen und nicht nach “Best Cases” zu fragen. Dazu gehört auch die Offenheit, neue Erfahrungen zu machen – und damit auch Fehler. Und dazu gehört die Bereitschaft, neue Erkenntnisse in neues Handeln zu übersetzen und einmal beschlossene Pläne auch zu revidieren und zu modifizieren.
Und dazu gehört vor allem der Wille, ausgetretene Wege wirklich zu verlassen und das Neue nicht nur auf der Schauseite vor sich herzutragen.