High Five #29: Vom Kleinen im Großen und Großgruppengewohnheitsbrüchen

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Jörg Jelden

Lesedauer 5 Minuten

Hallo,

wir lieben Großgruppen – egal ob Workshop, interne Tagung oder Unternehmenskonferenz. 

Neben längeren Prozessbegleitungen und der Moderation von Offsites konzipieren und moderieren wir regelmäßig auch Großgruppen-Veranstaltungen. Wir freuen uns nicht nur über jede Anfrage in diese Richtung, sondern auch über die besonderen Herausforderungen und Dynamiken dieser Art von Events. Um das zu unterstreichen, kommt dieser High Five monothematisch: mit fünf kleinen Hacks für die Arbeit mit großen Gruppen. 

Ähnliches davon fand sich immer mal wieder auch hier im Blog oder im Newsletter. So haben wir mit der Hände-Hoch-Moderation und der 3-Bälle-Moderation Techniken zur Steuerung von Aufmerksamkeit größerer Gruppen vorgestellt. Auch Poster-Sessions als Alternative zur klassischen Rückpräsentation kommen aus dem Konferenz-Bereich. Die Innenkreis-Außenkreis-Methode ist eine gute Variante der guten alten Podiumsdiskussion. 

Glücklicherweise können wir in Großgruppenworkshops meist jenseits von Konferenzbestuhlungen arbeiten. Da feste Stuhlreihen jedoch gängige Praxis vieler großer Veranstaltungen sind, haben wir auch ein paar Hacks beigefügt, die dieses frontale Moderationssetting aufbrechen. 

Wie immer freuen wir uns, wenn du diesen Newsletter weiterleitest, deinen Superhack mit uns teilst oder den Newsletter mit einem Kaffee-Betrag unterstützt. 

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Auf bald,
Dirk, Jörg, Valentin


1. Chaotisches Stühlerücken 

In Großgruppenworkshops und Tagungen sind wir immer wieder in der Situation, dass wir Platz machen wollen für Aktion. Nach dem Motto “viele Hände, schnelles Ende” tragen alle Teilnehmer*innen ihre Stühle an den Rand. Manchmal lassen wir sie daraus auch thematische Stuhlskulpturen bauen. Ein Knaller ist auch immer die “Chaotic Chair Challenge”. Dabei werden die Teilnehmer*innen in drei Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe erhält verdeckt eine Aufgabe. Wir rufen einen Wettbewerb aus: Die Gruppe, die als erstes die Aufgabe löst, gewinnt. Nur sind die Aufgaben so angelegt, dass die Gruppen sich behindern und gegeneinander arbeiten. So muss Gruppe 1 alle Stühle in eine Ecke bringen. Gruppe 2 alle Stühle stapeln. Gruppe 3 soll alle Stühle umdrehen. Dem vermeintlichen Energizer folgt dann eine Reflexionsrunde über Ziele und Zusammenarbeit, über Kommunikation und Miteinander. Und die Stühle sind danach auch abgeräumt.


2. Vor, zurück und zur Seite murmeln

Auch die zweite Moderationswundertechnik für die Facilitation großer Gruppen kommt unscheinbar daher, ist sehr kraftvoll und fügt sich gut in die Konferenzbestuhlung ein: die Murmelgruppe. Teilnehmer*innen wenden sich nach links, rechts, vorne oder hinten und finden spontan eine*n Gesprächspartner*in, die sie bislang noch nicht kannten. Da viele neue Tandem-Verbindungen entstehen, heißt die Methode bei den Liberating Structures auch “Impromptu Networking”. Teilnehmer*innen dürfen etwas sagen und werden gehört. Die Gedanken können sich beim Reden verfestigen. In einer Murmelgruppe können auch Gefühle und Empfindungen Platz finden. Die Zweiergespräche lassen sich aber auch spielerischer und aktivierender nutzen. Als thematisches Gespräch in einer Fantasiesprache. Über 1-Wort-Assoziationsketten mit Gesten. Über gegenseitige Spontanporträts ohne aufs Blatt zu schauen. Und falls es keine feste Bestuhlung gibt: auch in Kombination mit einem Stopp-Tanz (s. Impromptu Networking Stopptanz).


3. Raus aus dem Plenum, rein in die Kleingruppe

Als Facilitator*innen versuchen wir (große) Gruppen aus der dominanten Plenarlogik zu locken und das Spektrum der Begegnungen zu erweitern. Besonders in Großgruppenworkshops braucht man dafür Mechaniken, um Kleingruppen zu bilden und einzuteilen.

Dafür kann man z.B. gut Ansteck-Buttons mit verschiedenen Zitaten nutzen. Teilnehmer*innen wählen beim Ankommen einen Button mit einem Zitat, das sie anspricht. Das gewählte Zitat lässt sich als Warm-Up nutzen: „Was verbindest du mit dem Zitat? Was hat es mit dem Event-Thema zu tun?“ Über die Buttons lassen sich unterschiedliche Konstellationen für Kleingruppen schnell organisieren: Alle mit gleichem Zitat zusammen oder alle mit unterschiedlichen Zitaten zusammen.

Statt der Zitate kann man auch unterschiedliche Rollen oder Perspektiven verteilen, die später im Workshop gebraucht werden (s. Freudenfreudige Heldentaten). Statt Buttons können auch anregende Bilder in den Event-Lanyards stecken, wie kürzlich auf dem Event “8hours of Leadership” der HHLA. Wir haben statt Buttons auch schon Aloha-Ketten genutzt oder eins von sechs Teilen eines Brandeins-Covers in die Konferenztasche packen lassen. Oder haben uns als Löwen brüllend unsere eigene Kleingruppe gesucht, als auf den Berlin Change Days Tiersticker zu eben diesem Zweck verteilt wurden.


4. Der Hop-Circle oder: wenn alles nach meiner Nase tanzt

Viele Warm-Ups und Energizer funktionieren im Kleinen und im Großen. Sie fühlen sich mit 100 Leuten dabei oft krasser an als im kleinen Kreis. Denn wenn große Gruppen synchrone Dinge ausführen, dann wirkt das schnell energiegeladen, massenhypnotisch und damit irgendwie auch mit einem halben Beim im Düsteren. Den „Hop-Circle“ haben wir unter anderem Namen von einem Freund aus der Jugendarbeit übernommen. Die Anleitung ist ziemlich einfach. Gleichzeitig verwirrend. Das mit 100 Leuten in einem großen Kreis auszuführen bringt ziemlichen Wumms. Das Warm-Up im Schnelldurchlauf:

  • Setting: Alle stehen im Kreis/Oval (Randnotiz: mit 100 Leuten braucht es dafür rund 400qm).
  • Runde 1: Ablauf erklären und los.
    • Runde 1: Ich rufe: „rechts“. Alle wiederholen den Ruf „rechts“ und springen dabei gleichzeitig nach rechts.
    • Ich wiederhole diesen Schritt mal „links“ mal „rechts“ rufend.
  • Runde 2: Ablauf erklären und los.
    • Runde 2: Ich rufe: „rechts“. Alle rufen „links“ und springen dabei gleichzeitig nach links.
  • Runde 3: Ablauf erklären und los.
    • Runde 3: Ich rufe: „rechts“. Alle rufen „rechts“ und springen gleichzeitig nach links.

Anspannung, Heiterkeit und aktivierende Bewegung garantiert.


5. Viele Fragen schnell priorisieren

100 Leute haben interaktiv, abwechslungsreich und anregend zwei gemeinsame Tage verbracht und jetzt ist es an der Zeit für eine gute Abschlussphase. Ein letzter großer Stehkreis nach allem Erlebten: „Welche drängenden Fragen beschäftigen euch gerade?“ Unser Question-Boiling (das Tool heißt so ab genau: jetzt) ist eine wunderbare Mechanik dafür.

Und das geht so:

  1. Im ganzen Raum liegen Karteikarten und Kugelschreiber aus.
  2. Alle schnappen sich je 1 Karte und 1 Schreiber.
  3. Musik startet: Alle laufen kreuz und quer herum.
  4. Musik stoppt: Alle halten inne und notieren leise für sich (leserlich) ihre wichtigste Frage für den Abschlusskreis.
  5. Musik startet: Alle laufen kreuz und quer herum.
  6. Musik stoppt: Alle geben ihre Karte an jemanden weiter und erhalten von jemand anderem eine Karte gereicht. Alle lesen die neue Karte und notieren auf der Rückseite eine Zahl von 1 (nicht wichtig) bis 5 (absolut wichtig).
  7. Schritt 5 und 6 mehrmals wiederholen. 
  8. Abschluss: jede*r notiert auf der Rückseite der aktuellen Karte die Gesamtpunktzahl. 
  9. Wir fragen rasch nach den 5-10 Karten mit der höchsten Punktzahl (Maximalzahl = Anzahl Runden x 5) und haben so einen wunderbaren Absprung für eine Abschlussdiskussion zum Beispiel in einem Fishbowl-Setting.

Die Methode lässt sich natürlich auch für Ideen oder Antworten nutzen. Kennengelernt haben wir sie über Monique Lampe, die bei Moderatio die Ausbildung zur Großgruppen-Moderation macht. Wer sich mit Liberating Structures auskennt, entdeckt die Mechanik auch beim Tool “25/10 Crowdsourcing”. 

Wir sind jedes Mal wieder baff, wie schnell und gut das funktioniert – und was für mutige Fragen es nach oben schaffen. Und mit Musik und Bewegung kommt gleichzeitig auch noch gute Energie in den Raum.


+1: Vielen Dank an KAEFER Industrie – jetzt gibt’s Bewegtbild!

Na klar, oft können wir von Veranstaltungen weniger zeigen als wir gerne würden. Umso mehr freut es uns, dass KAEFER Industrie Deutschland ein Video von „unserer“ 2-tägigen Tagung im Januar gedreht hat. Wenn ihr draufklickt, seht ihr zwei von uns in Aktion und Rede und Antwort stehend – und kriegt vielleicht mal einen anderen Einblick. Kurze Infos zur Veranstaltung:

  • Aufgabenstellung: Konzeption einer mal ganz anderen internen Tagung mit 100 Leuten aus Bau- und Projektleitung. Konzeption über mehrere Monate.
  • Großgruppenmoderation mit (teils im Video zu sehen) Murmelgruppen, Marshmallow Challenge, Question-Boiling (siehe oben), und handgemachten Themeninseln wie „Pizza Problemo“ – von dieser Arbeit mit Themeninseln gibt es auch eine ältere Beschreibung im Blog
  • Kurzum: eine Zusammenarbeit und im Ergebnis eine Großgruppenveranstaltung nach unserem Geschmack.

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