Mit unserem ersten Gastbeitrag widmen wir uns dem Thema „Beteiligungsprozesse moderieren“. Mit Dr. Maik Bohne haben wir auch einen tollen Autor gewinnen können. Maik arbeitet bei der Hamburg Port Authority und hat es mit öffentlich kontrovers diskutierten Fragen zu tun. Seine Themen betreffen immer viele Interessen und Gruppen. Um Themen in solchen schwierigen Situationen voranzubringen, setzt er u.a. auf Beteiligungsverfahren. So war er für das Dialogforum Tideelbe verantwortlich.
Ich kenne Maik von gemeinsamen Politikseminaren aus Göttingen. Nach dem Studium haben wir uns eine ganze Weile aus den Augen verloren. Während ich in die Zukunftsforschung eingetaucht bin, hat er promoviert und war für die beteiligungsorientierte Kommunikationsberatung IFOK in Berlin tätig. Erst seit er in Hamburg wohnt, plauschen wir bei Mittagessen auch über Moderationsthemen. Ich freue mich sehr, dass er den ersten Gastbeitrag schreibt und seine Grundsätze für die Moderation von Beteiligungsprozessen mit uns teilt.
„Das bisschen Reden“
Ein Plädoyer für eine neue Qualität der Beteiligung
In Sonntagsreden von Politikern und Unternehmenslenkern ist es zum Allgemeinplatz geworden. Verlangt man Bürgern etwas ab, sei es mit neuen Infrastrukturprojekten, Wohnsiedlungen für Geflüchtete oder dem Neubau eines Einkaufszentrums, dann heißt es gerne: „Wir müssen die Betroffenen mitnehmen. Wir müssen sie frühzeitig und transparent beteiligen.“ Das sind schöne Worte, die mittlerweile leicht über die Lippen gehen. Aber seit Goethes Faust wissen wir: Grau ist alle Theorie. Die Praxis der Beteiligung ist bunt, sie ist vielfältig, sie ist anstrengend.
Denn was die meisten Entscheider, die diese intensiven und aufwändigen Prozesse noch nicht selbst erlebt haben, selten zur Kenntnis nehmen: Beteiligung ist mehr als „ein bisschen Reden.“ Sie ist zu einer eigenen Kommunikationsdisziplin geworden, die ein hohes Maß an Umsicht, Qualität und Aufmerksamkeit benötigt, will man sie gelingen lassen. Wie aber können partizipative Prozesse richtig gestaltet werden? Ich möchte Euch fünf zentrale Grundsätze mitgeben, die ich zusammen mit der Projektgruppe „Kollaborative Demokratie“ bei der stiftung neue verantwortung entworfen habe – und die mich bisher als Konzepter von Beteiligungsprozessen geleitet haben:
1. Beteiligung braucht eine Haltung des gegenseitigen Respekts
Gelingende Beteiligung benötigt vor allem eines: eine innere Haltung. Diese Haltung ist von dem Verständnis geprägt, dass hierarchische Steuerung immer seltener gelingt. Sie ist getragen von Empathie und gegenseitigem Respekt für unterschiedliche Perspektiven. Das heißt: Teilnehmende sollten neue Formen der Mitwirkung als ein zeitgemäßes Instrument zur gemeinsamen Umsetzung ihrer Anliegen verstehen und sich deshalb ernsthaft auf Dialog einlassen. Sie sollten ihm mit Redlichkeit begegnen. Redlichkeit heißt in diesem Kontext, den Prozess und die dabei erarbeiteten Ergebnisse nicht nur oberflächlich anzuerkennen, sondern mit Respekt und Sorgfalt zu behandeln. Für mich als Begleiter von Beteiligungsprozessen heißt das: Ich muss aktiv in meine Organisation hineinwirken, um die nötige Offenheit gegenüber häufig skeptisch betrachteten Beteiligungsverfahren zu schaffen.
2. Beteiligung zielt auf Wirkung ab, sie baut keine Luftschlösser
Dialog braucht einen nachvollziehbaren Sinn und Zweck. Er ist von der Maxime geleitet: Nur wo ein Handlungsspielraum, da ein Beteiligungsprozess. Die neuen Instrumente der Beteiligung kommen nur zur Entfaltung, wenn sie verändern, nicht nur beraten; wenn sie nachvollziehbar Eingang in Entscheidungsprozesse finden. Wichtig dabei ist: Beteiligte erwarten häufig gar nicht, dass ihre Ideen, ihre Argumente und ihr Wissen ungefiltert übernommen werden. Für das Gelingen von Beteiligungsverfahren ist dabei aber zentral: Rahmen und Spielräume von Beteiligungsverfahren müssen im Vorhinein klar abgesteckt und kommuniziert werden. Für mich als Begleiter von Beteiligungsprozessen heißt das: Ich darf Dialoge nicht mit Wünschen und Hoffnungen überfrachten, sondern ich muss sie stets auf dem Boden des Machbaren stehen lassen.
3. Beteiligung ist kreative Prozessgestaltung
Dialog ist nicht, wenn alle über alles reden. Beteiligungsprozesse brauchen eine verlässliche Struktur, sie brauchen greifbare Ergebnisse und einen erprobten Methodenkanon. Struktur heißt aber nur zu einem gewissen Grad: Standardisierung. Es gibt eine Vielzahl von Methoden der Beteiligung, die immer wieder anders, neu und kreativ in eine individuelle Prozessarchitektur eingepasst werden müssen – je nach Ausgangslage, Zielgruppe und Problem. Nur so werden neue Räume für Diskurse geschaffen, Denkmuster aufgebrochen und eine frische Form der Diskussion etabliert.
Kreativität bei der Prozessgestaltung ist somit unerlässlich. Dies gilt insbesondere bei der wichtigen Kopplung von formellen Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung mit nicht gesetzlich festgeschriebenen Formaten (z. B. Bürgerforen, Runde Tische, Planungszellen, Online-Konsultationen). Diese Kopplung wird in Zukunft zu einem zentralen Erfolgskriterium von Partizipation im öffentlichen Raum werden. Für mich als Begleiter von Beteiligungsprozessen heißt das: Ich muss ausreichend Zeit darauf verwenden, eine kluge Prozessarchitektur zu entwickeln.
4. Beteiligung: nicht ohne Kompetenz
Beteiligung macht man nicht mal eben so. Sie bedarf neutraler und methodisch kompetenter Mittler, Moderatoren und Mediatoren. Sie sind darin geschult, unterschiedliche Sichtweisen von Teilnehmenden möglichst neutral wahr- und aufzunehmen, sie zu strukturieren und zu einem akzeptierten Ergebnis zu führen. Zu oft herrscht noch die Auffassung vor: „Komm, das moderiere ich mal schnell selbst.“ Nein. Es geht in Beteiligungsprozessen um ein sehr sensibles Verständnis von Rollen. Beteiligung gelingt nur, wenn es jemanden gibt, dessen erstes und einziges Ziel ist es ist, einen fairen Prozess zu gestalten, ohne einen Anspruch an die Umsetzung der vereinbarten Ziele und Empfehlungen zu haben. Für mich als Begleiter von Beteiligungsprozessen heißt das: Ich muss frühzeitig entscheiden, ob, wie und wann ich mir Moderationskompetenz hinzuhole.
5. Beteiligung im öffentlichen Raum braucht Aufmerksamkeit
Beteiligung braucht Öffentlichkeit – in unterschiedlichen Facetten. Öffentlichkeit heißt zunächst Transparenz. Natürlich haben Politik, Verwaltung und Unternehmen ein berechtigtes Interesse daran, Räume der Vertraulichkeit zu schaffen, in denen sie Ideen entwickeln und vorabstimmen können. Dennoch sollte die Maxime sein, Informationen so frühzeitig und umfassend wie möglich zugänglich zu machen, um Wissen und damit Vertrauen zu schaffen. Öffentlichkeit heißt aber auch, Beteiligungsprozesse im öffentlichen Raum aktiv bekannt zu machen, Aufmerksamkeit auf sie zu lenken und für sie zu werben. Denn: Je öffentlicher und wahrnehmbarer die Möglichkeiten der Beteiligung sind, desto höher ist die Chance, dass die Gruppe der Teilnehmenden divers zusammengesetzt ist und nicht eine kleine Schar von Überzeugten den Diskurs dominiert. Für mich als Begleiter von Beteiligungsprozessen heißt das: Beteiligungsverfahren sind keine neue Form der PR. Dialoge brauchen aber eine behutsam begleitende Medienarbeit.
Es ist Zeit, dass wir aus der maßgeblich von Stuttgart 21 bewirkten Phase des mäandernden Experimentierens mit Beteiligungsverfahren herauswachsen.
Lasst uns jetzt eine Bestandsaufnahme machen und darauf eine Debatte über den Zustand und die Qualität von Dialogen in Deutschland beginnen. Wichtige Fragen dabei sind: Was macht ein faires Dialogverfahren aus? Was bewirkt Beteiligung real? Gibt es einen verlässlichen Methodenkanon, an dem ich mich orientieren kann? An welchen Standards müssen sich Konzepter und Moderatoren von Dialogen in Zukunft messen lassen?
Die Phase des mäandernden Experimentierens ist vorbei. Für eine neue Qualität der Beteiligung Klick um zu TweetenMaik empfiehlt folgende Bücher zum Thema Beteiligungsprozesse moderieren. Wenn Du weitere Empfehlungen dazu hast, ergänze diese doch gern über einen Kommentar.
„Democracy as Problem Solving“ von Xavier de Sousa Briggs (2008)
„Was ist Demokratie?“ von Paul Nolte (2009)
„Mut statt Wut – Aufbruch in eine neue Demokratie“ von Claus Leggewie (2011)