High Five #41: Von verstörend-gefälligen Stein-Karussellen und wandelmutig-vertikalen Tier-Timern.

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High Five

Lesedauer 7 Minuten

Hallo zusammen,

“Gemeinsam Organisationen bewegen.” So lautet der Titel unseres Blogs. Für neue Auftraggeber*innen versuchen wir den Wertbeitrag unserer Arbeit als ein Momentum für neues Denken und Handeln zu beschreiben. Es ist uns wichtig, dass sowohl geträumt als auch gehandelt, groß gedacht und konkret losgemacht wird. Unsere Begleitung ist immer auch darauf angelegt, in die kritischen Auseinandersetzungen der relevanten Akteure zu gehen, ein gemeinsames vorne in der Zukunft herauszuschälen und konkrete erste Schritte zu initiieren.

Jagoda Marinic* hat jetzt in einem Interview mit der taz zu ihrem neuen Buch vieles davon auf ganz tolle Art und Weise formuliert und weitergedacht. Sie beschreibt darin ihr Konzept “sanfte Radikalität” und ihre Erfahrungen bei der Etablierung und Leitung des interkulturellen Zentrums der Stadt Heidelberg. 

Sie definiert sanfte Radikalität über das Spannungsverhältnis von Vision und Umsetzung.

“Sanfte Radikalität bedeutet, dass man eine Vision für die Gesellschaft hat und erstmal eine Skulptur baut. Man könnte auch soziale Plastik sagen, wie Beuys. Bei der Realisierung wird die Figur natürlich abgeschliffen, Menschen agieren anders als geplant, aber ich lasse nie ganz von meiner Idee ab.”

Spannend ist aber auch etwas anderes, das wir in Transformationsprozessen häufig beobachten: der Umsetzungssog.

“Sowohl ich, als auch die im Projekt Engagierten kamen in den Umsetzungssog, weil Gelingen sich potenziert. Ich habe es mir neurowissenschaftlich erklärt. Wenn man sich mit dem Gelingen beschäftigt und eine sinnliche Erfahrung dahingehend macht, kommt Lösungslust auf. Das ist doch auch das Versprechen der Demokratie: Die Erfahrung von Lösungslust muss möglich sein, nicht nur Stagnation.” 

Zum Schluss teilt sie noch eine wichtige Diskursstrategie, die sowohl für organisationale Transformationsprozesse als auch für die aktuellen politischen Debatten interessant ist: 

“Nutze ich meine Gegenrede, um die Argumente des Gegners zu entkräften, wofür ich sie wiederholen muss. Oder nutze ich sie, um eine ganz andere Idee anzubieten, die mich näher an die Lösung bringt, die ich gesellschaftlich gewinnbringender fände? Alle, die im öffentlichen Raum sprechen, sollten das mal überprüfen: Trage ich gerade bei zur Lösung oder mache ich nur die Gegenrede und stärke damit die Rede des Gegners? … In Heidelberg habe ich damals gesagt, ich werde nicht über die Defizite der Migration reden, sondern über die Ressourcen, die sie in unsere Stadt bringt.” 

Mit diesen frisch geschärften Gedanken wenden wir uns wieder unseren Workshops und Beratungsprojekten zu. Zum Erntedankfest gibt es dieses Mal 5+1 Inspirationen aus unserer Arbeit inklusive eines Tipps zu Launchpartys des Buches „Klimaangst und Wandelmut“ von Lena Hällmayer in Hamburg am 21.11. im Eeden – treffen wir uns da

Auf bald

Dirk, Jörg und Valentin

* Es lohnt sich natürlich auch den Podcast „Freiheit Deluxe“ von Jagoda Marinic zu hören. 


1. Zieht immer: Tierisch einchecken

“Wenn du als Teil des Management-Teams ein Tier wärest, welches wäre es? Wenn ihr als Management-Team ein Tier wäret, welches wäre es? – so ihr habt jetzt 2 Minuten Zeit, die beiden Tiere zu zeichnen.” Und los geht das Tierisch einchecken. 

Wie immer monieren manche, dass sie nicht zeichnen können. Aber dann geht es natürlich doch. Und wie! Denn es geht ja gar nicht um einen Zeichenwettbewerb. Vielmehr liefern die Tiere (ähnlich wie andere Metaphern oder Bildkarten oder Filmtitel) einen leichtgängigen Sprachfähigkeitsmotor. „Wir igeln uns als Management ein.“ „Ich springe wie ein Eichhörnchen von Aufgabe zu Aufgabe.“ „Ich fühle mich an der Spitze einerseits mächtig wie ein Löwe, aber auch zu alleine in meinen Entscheidungen.“ 

Wir wurden ans “Tierisch einchecken” kürzlich durch Sonja Hanau auf LinkedIn erinnert und haben es direkt mit ins nächste Management-Offsite genommen. Schaut da mal vorbei, denn Sonja beschreibt da ausführlich einen in Nuancen anderen Ablauf. Und ja: es entstehen nicht nur gute Gespräche, sondern viele gemeinsame Lacher. 

Es lässt sich nicht anders sagen: Tiere ziehen einfach immer. Im gleichen Genre spielt es auch, das eigene Team metaphorisch mit Tierklebebildchen darzustellen. Dazu haben wir vor einigen Jahren im Blog geschrieben. Oder die Tiny Demons aus den Liberating Structures, die quäntchen + glück kürzlich so charmant vorgestellt haben.


2. Fällt gut: Workshop-Spiel „Domino-Effekt“

Wenn wir die Kisten mit den Steinen für das Workshop-Spiel „Domino-Effekt“ auf die Tische stellen, machen sich viele Teilnehmer*innen schon mit einem kompetitiven Lächeln warm für das, was kommt. Für jedes Team eine andere Farbe, auf den Tischen ist mit Tape eine Strecke abgeklebt. Das Ziel ist, eine Kettenreaktion zu bauen, die vom Start durch das Labyrinth führt, sodass am Ende mindestens ein Stein über die Ziellinie fällt. Nebenbei muss noch ein Hindernis auf der Strecke überwunden werden. 

Nachdem wir die Aufgabe erklärt haben, geht es sofort los, ohne Zeit für Besprechungen. Wir stoppen die Zeit. Wenn ein Team bereit ist, die Kettenreaktion anzustoßen, und diese erfolgreich ist, bekommen die anderen Teams noch 90 Sekunden Zeit, ihre Strecke zu vervollständigen und ebenfalls eine Reaktion auszulösen. Wir spielen meist drei bis vier Runden. Die Zeiten für alle Teams kommen auf ein Scoreboard, das nach jeder Runde aktualisiert wird.  

Wie bei jeder Aktivität liegen auch hier in einer guten Reflexion des Geschehens wahre Goldmomente: Was ist im Spiel passiert? Wie funktionierte die Kommunikation im Team? Wer hatte welche Rolle? Und vor allem: Was hatte das Erlebte mit der täglichen Arbeit zu tun? Der Domino-Effekt ist ein kurzweiliges und aktivierendes Spiel, das wir gerne viel öfter einsetzen würden. Nachteilig ist nur der unhandliche Transport: fünf bis sieben Kisten mit jeweils 250 nicht allzu kleinen Domino-Steinen sind schon eine Nummer, für die sich eine eigene Sackkarre anbietet.

Jenseits der Transport-Herausforderungen gehört das gelingsichere Workshop-Spiel Domino-Effekt für uns zu einem neuen Klassiker, der sich gut neben Workshop-Klassikern wie “Ball Point Game”, “Marshmallow”, “Rocket Challenge”, “Blinde Geometrie” oder “Barnga/Das stille Casino”einsortiert.


3. Liegt quer: Wenn das Gemeinsame zu schwer ist

Kürzlich hatten wir einen ungewöhnlichen Workshop zu moderieren, bei dem uns Facilitating Breakthrough von Adam Kahane weitergeholfen hat (hier auch in Kurzform).

Wir moderierten den zweitägigen Auftakt für das Netzwerk-Treffen aller Assistenzen eines unserer Kunden. Ziel war, den Austausch und die gegenseitige Unterstützung dieser besonderen Position nach einer größeren Reorganisation zu fördern. Der Workshop wurde immer dann schwierig, wenn die Teilnehmer*innen etwas gemeinsam voranbringen sollten. Und er wurde immer wieder leichtgängig, wenn wir auf Austausch und individuelle Erkenntnisse schwenkten. 

In diesem Workshop hat uns der Blick von Adam Kahane auf die zwei klassischen Herangehensweisen an Workshops geholfen, die er in “Facilitating Breakthrough” beschreibt. Wir drei arbeiten häufig in einem Feld, das Adam Vertical Facilitation nennt. Also dort, wo es jemanden gibt, der eine Richtung vorgibt und etwas will und oft auch hierarchisch die Macht dafür hat. Hier steht das große Ganze und das Gemeinsame im Vordergrund. Das, was man erreichen und gemeinsam verändern will. Das zweite klassische Feld ist Horizontal Facilitation. Hier geht es stärker um die einzelnen Menschen als um die Gruppe und das große Ganze. Individuelle Erkenntnisse und Vorhaben Einzelner statt gemeinsamer Verabredungen und Vereinbarungen dominieren hier. Facilitation könne transformativ werden und ungeahnte Durchbrüche erlangen, wenn man es als Facilitator*in versteht, geschickt zwischen diesen Herangehensweisen zu wechseln. 

In besagtem Workshop haben wir den Blick daher immer wieder auf die Erfahrungen, Probleme und Ideen Einzelner gerichtet. Hier kamen dann der Marktplatz der Macher*innenAppreciative Interviews und kollegiale Bearbeitung von einzelnen Fragestellungen zum Einsatz. 


4. Dreht durch: Change-Übung „Startup-Karussell“

Veränderungs-Themen haben oft so eine Schwere: es wird anders werden, die Unsicherheit steigt, Ängste kommen hoch. In einem Workshop zum Thema “Veränderung” haben wir neulich mit der Change-Übung Startup-Karussell versucht, Spaß und Leichtgängigkeit in dieses Thema zu bringen.

Hierbei bekommen kleine Teams die Aufgabe, eine (fiktive) Geschäftsidee zu entwickeln und dabei die eigenen persönlichen Stärken jeder einzelnen Person im Team als Ressource zu sehen. Die Idee sollte eine Nähe zum Tätigkeitsbereich des “Hauptinvestors” haben. Um diesen zu finden, haben wir jedes Team verdeckt eine Scenona-Karte mit Zukunfts-Personas ziehen lassen. Nach kurzer Entwicklungsphase hat jedes Team eine Geschäftsidee gepitcht und das eigene Team vorgestellt. (Von “Flugbrot”, “CareMore” oder “HeartBeat” erzählen wir dann mal an anderer Stelle).

Anschließend kam die Welle der Veränderung, wie im echten Leben. Wir haben einzelne Team-Mitglieder ausgetauscht (ist ja so: Mitarbeiter*innen kommen und gehen ;-). Damit gingen Kompetenzen verloren, neue kamen hinzu. In einer nächsten Runde mussten die (neuen) Teams ihre Geschäftsidee auf Basis der neuen Situation weiterentwickeln und danach wieder kurz pitchen. 

Auch hier wieder stark: die Reflexionsphase. Wodurch unterscheidet sich die zweite Idee von der ursprünglichen? Wie haben sich die Team-Wechsler gefühlt? Wie ist das Team mit dieser Veränderung umgegangen? Das Credo von allen Teilnehmer*innen: Die Übung hat mir einen anderen Blick auf Veränderungen gegeben – leichter, spielerischer, positiver.


5. Läuft ab: Bye-bye Time-Timer

Früher gehörte der Time-Timer standardmäßig in unseren Workshop-Koffern. Wir haben ihn häufig in Kleingruppen-Arbeitsphasen eingesetzt, um die gesamte und verbleibende Arbeitszeit sichtbar zu machen. Dieses Handlungsprinzip hat sich bei uns weitestgehend überholt. Na klar gibt es immer noch Situationen, in denen wir Menschen für eine oder 3 oder 5 Minuten irgendetwas machen lassen, vor allem wenn es zentrales Element einzelner Spielmechaniken ist. Aber Diskussionen oder Arbeitsphasen takten wir nur noch selten über eine für alle sichtbare Uhr. Gerade wenn es darum geht, emergent zu arbeiten, komplexe Themen zu besprechen, Herausforderungen zu verstehen und Lösungsoptionen an die Oberfläche zu bringen, setzen wir auf das Prinzip “die Zeit geben, die es braucht”. Hinzu kommt, dass Zeitdruck und eng getaktetes Arbeiten schon im Alltag unserer Kunden häufig genug vorkommen und wir im Workshop bewusst auf eine langsamere Taktung setzen.

Es ist wenig verwunderlich, dass die Time-Timer Staub angesammelt haben und einer kürzlich sogar in der Flohmarktkiste landete. Behalten haben wir hingegen die absolut empfehlenswerte TimeTimer-App fürs iPad (wenn es das sichtbare Timeboxing doch mal wieder braucht).


+1 Veröffentlicht: Klimaangst und Wandelmut

Unsere Netzwerkfreundin und Illustratorin Lena Hällmayer hat sich die Frage gestellt, was sie gegen die Klimakrise tun kann und was sie ihren Kindern auf Fragen dazu antworten kann. Fragen, die auch wir uns immer wieder stellen. 3 Jahre lang hat Lena zeichnend nachgedacht – und jetzt ist ihr Buch Klimaangst und Wandelmut fertig. Lena schreibt:

„Dieses Buch ist das gezeichnete Protokoll meiner Reise. Ich habe mich auf die Suche nach kleinen Antworten und großen Fragen gemacht, mit vielen Kindern gezeichnet, mich von Gefühl zu Gefühl gehangelt, Dinge in meinem Alltag und im Denken verändert.

Es war keine Alleine-Reise, sondern eine mit vielen Begegnungen: So viele Gespräche, Kooperationen, künstlerische Kompliz*innenschaften und gemeinsamer Aktivismus sind in dieses Buch mit eingeflossen. Haben es wachsen lassen.“


Das Buch zeigt auch zwei Parallelen für alle, die Klimathemen facilitieren: lasst uns die Ängste und Emotionen nicht ausblenden! Klimaangst, Wut, Trauer um alles was wir verloren haben und verlieren werden brauchen Raum. Und es braucht Verstärkung. Wo auch immer in der eigenen Blase eine*r einen positiven Schritt angesichts des Wahnsinns in der Welt tut, können wir alle versuchen, zumindest etwas Aufmerksamkeit auf diesen Schritt zu lenken.

Zur Veröffentlichung gibt es zwei Lesungen:

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