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Tic-Tac-Toe: Vom Schüler-Zeitvertreib zum Workshop-Tool

Tic-Tac-Toe Workshop-Tool

Käsekästchen? Schiffe versenken? Hangman? Ich erinnere mich an einige Spiele, die wir in der Schule immer mal wieder spielten. Manchmal in verregneten Pausen, aber eher mitten im Unterricht. Gemeinsam war ihnen das benötigte Material. Papier, kariert oder egal, und zwei Stifte, verschiedenfarbig oder egal. Sie waren allesamt einfach und schnell zu begreifen. Es freut mich sehr, dass nach Jörgs Workshop-Interpretation des “Bullshit-Hangman” nun bereits der zweite dieser Stiftpapierspieleklassiker den Sprung in meine Workshop-Toolbox geschafft hat: Tic-Tac-Toe!

Es schwappte in einer gemeinsamen Workshop-Vorbereitung von Michael Schieben herüber, und der wiederum fand es bei Jeff Conklin (Dialogue Mapping). Soweit so gut – und das spielen Teilnehmer immer dann, wenn mal wieder Langeweile im Workshop herrscht oder die Aufmerksamkeitsspanne überdehnt ist? Nein! Da hören die Gemeinsamkeiten mit der Schulzeit dann zum Glück auf. Im Workshop soll das Spiel einen Zustand verdeutlichen: Oft ist es so, dass Teilnehmer zwar davon ausgehen, dass sie schon vor dem Workshop eine geteilte Sicht auf die Dinge haben. Das ist aber fast immer eine Fehleinschätzung. Mit Tic Tac Toe braucht es nur wenige Minuten, um das spielerisch deutlich zu machen. Dafür wird dsa Spiel nur ein wenig verändert.

Aber erst noch mal zurück zum Klassiker: Tic-Tac-Toe ist in den Grundregeln sehr, sehr einfach. Und auch in der Durchführung schnell begriffen und wenig komplex.
Kennt jemand von Euch das Spiel Tic-Tac-Toe nicht? Okay, dann erkläre ich es noch mal schnell:

Tic-Tac-Toe: Die Regeln des Klassikers

Spielfeld: Ein Spieler malt ein Raster aus 2×2 Strichen auf ein Stück Papier. Es entsteht ein Spielfeld mit 9 Feldern.
Spiel: Die Spieler „besetzen“ nun abwechselnd je ein Feld mit ihrem eigenen Symbol – Kreuz oder Kreis.
Ziel ist es, als erster 3 eigene Symbole in einer Reihe zu schaffen – horizontal, vertikal oder diagonal.

Alles bekannt und simpel. Wer jetzt eine Lesepause braucht oder den alten Klassiker schnell mal wieder in Erinnerung rufen möchte: Bitteschön!

Wie gesagt, wenig komplex. Schnell durchschaut. Leicht gespielt. Wenn jeder Spieler gut aufpasst, geht das Spiel immer unentschieden aus (Fairplay-preisverdächtig) und es gibt 31.896 mögliche Spielverläufe.

Es wäre schön, wenn die Welt immer so einfach zu durchschauen wäre. Ist sie aber nicht. Und das ist irgendwie nicht nur gut, weil Dirk, Jörg und ich sonst viel weniger zu tun hätten, nein, es wäre sonst auch einfach ganz schön langweilig.

Damit bin ich eigentlich schon beim Kern, bei Sinn und Einsatzzweck von Tic-Tac-Toe als kleine Workshop-Methode.

Geteilte Bilder oder unterschiedliche Vorstellungen?

Folgende beispielhafte Ausgangslage: Mehrere Mitarbeiter eines Unternehmens treffen sich, um in einem Kick-Off-Workshop ein anstehendes Projekt zu durchdenken. Sie glauben, dass eigentlich alle schon ein geteiltes Bild davon haben, wo sie gerade stehen und wo sie hin wollen. Sie würden am liebsten sofort an konkreten nächsten Schritten arbeiten, endlich loslegen.
Schön, dass sie loslegen wollen. Aber gibt es wirklich schon ein gemeinsames, geteiltes Bild der Ausgangslage und den Zielen? So gut wie nie! Tic-Tac-Toe ist eine kurze, knappe Übung, die zum Workshop-Einstieg drastisch und mit dem Hollywood-Zaunpfahl genau diese Herausforderung darstellt. Und zwar nicht mit dem einfachen, gemalten 9-Felder-Raster, sondern so:

Howto: Das getunte Tic-Tac-Toe als Workshop-Tool

Runde 1:  Je 2 Teilnehmer bekommen 2 Stifte und Papier. Sie werden aufgefordert ganz klassisch eine Runde Tic-Tac-Toe zu spielen. Sollten das nicht alle kennen, wird das Spiel (wie oben) kurz erklärt.
Runde 2:Runde 2. Das war einfach. Jetzt sollen die Spieler erneut eine Runde Tic-Tac-Toe spielen, aber jetzt ausschließlich verbal. Ohne Stift. Ohne Papier. Also a la:

  • Spieler 1 sagt: “oben links”
  • Spieler 2 sagt: “mitte, mitte”
  • Spieler 1 sagt: “…”

Diesen Schritt sollten die meisten Teams nach ersten Hürden dann doch auch noch recht entspannt hinbekommen.
Runde 3: Jetzt drehen wir an der Komplexitätsschraube: Die Teams sollen wieder ohne Material und rein verbal spielen. Aber jetzt mit einer 4×4-Matrix und 4 Gleichen in einer Reihe zum Gewinn. Diese Runde tut weh. Verschieden schnell werden die Teams scheitern. Manche werden vielleicht sogar zum Ende kommen – oder das zumindest glauben. Die Teams sollen rasch spielen, bis zu dem Moment, wo sie entweder aufgeben oder ein Sieger oder ein Unentschieden festgestellt sind.
Runde 4: Jetzt soll jeder Spieler für sich, ohne dass der andere es sehen kann, den letzten Zustand des Spielfeldes aufmalen.
Runde 5: Jetzt dürfen die Spieler ihre Zeichnungen vergleichen.

An dieser Stelle gibt es dann Reaktionen wie kopfschüttelndes Lachen oder handfesten Streit, welche Zeichnung denn nun richtig ist.

Bisherige Erfahrungen mit diesem Workshop-Tool

Die Übung ist schwierig und macht gleichzeitig Spaß. Ich habe sie bislang einige Male durchgeführt und fand bis zu diesem Moment am erstaunlichsten, dass selbst die Spieler, die sehr weit gekommen sind, vielleicht gar in Einigkeit einen Gewinner festgestellt haben, ein absolut nicht identisches Bild des Spielfelds aufzeichnen.

Und genau darum geht’s: Selbst bei vermuteter Einigkeit auf die Sicht der Dinge, gibt es doch sofort große Unterschiede, wenn Dinge explizit werden. Das ist ein Großteil der Arbeitsleistung in so einem Workshop. Die Dinge heraus aus dem Impliziten, aus dem Land der Vermutungen, aus der gefühlten Einigkeit zu ziehen. Sie explizit zu machen, eine gemeinsame, wahrhaftig geteilte Sicht auf die Dinge zu erarbeiten.

Um dafür einen guten Teppich zu bereiten, um das Bewusstsein für diese Herausforderung spielerisch zu schärfen, ist „Das getunte Tic-Tac-Toe“ ein wunderbar einfaches, plastisches Workshop-Tool.

Ich möchte zum Schluss noch mal betonen, dass dieses Tool nicht gerade feingeistig ins Thema führt. Da gibt es kein Um-die-Ecke-Denken für die Teilnehmer, nein, diese Methode kommt mit eingebauter Dampframme daher. Das kann wunderbar passen. Manchmal aber auch nicht.

Probiert das doch einfach selbst mal beim nächsten Projekt-Kick-Off aus! Ich bin gespannt, wie die Methode bei euch funktioniert. Und wenn Du selbst derlei kleine Tools mit uns teilen möchtest: Gerne her damit!

Valentin Heyde
Kategorie: Toolbox

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Als Berater und Moderator arbeitet Valentin Heyde an der Schnittstelle von Strategie, Innovation und Organisationsentwicklung. Er berät Mittelständler, Konzerne, Startups und Einzelpersonen wie CEOs oder Stifter. Berufstätig seit 1997, arbeitete er fünf Jahre als freiberuflicher Journalist für das FOCUS Magazin, produzierte Web-TV-Shows für AOL Deutschland und wechselte 2003 dann in die PR- und strategische Kommunikationsberatung. Gute Geschichten und Storytelling sind ihm ein Herzensthema, das er unter anderem als Dozent an der Hamburger Akademie für Publizistik weiter gibt. Valentin Heyde ist Diplom-Politologe, Fotograf und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Hamburg. Kontakt auf Linkedin

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