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Die verborgenen Seiten des Co-Moderators

Co Moderator Titel

Oder: Wie Du den Co-Moderator bestimmt noch nie erlebt hast.

„Wieso wollen Sie unseren Workshop unbedingt zu zweit moderieren und wofür brauchen Sie einen Co-Moderator?” Diese Frage begegnet uns häufig. Wir nehmen das mal zum Anlass, die die Rolle des Co-Moderators zu beleuchten. Denn in der Tat ist die „Nummer zwei” ein viel zu wenig beachteter Charakter in Workshops. Ich habe daher einige andere Moderationsexperten um ein Statement zum Thema Co-Moderation gebeten und anschließend vier Rollen der Co-Moderation entwickelt. Zwei davon hast Du vermutlich schon erlebt oder ausgefüllt. Die anderen beiden laborieren eher im Verborgenen und tauchen unerwartet aus dem Off auf.

Aber nicht ganz so schnell: Wieso lohnt es sich überhaupt zu zweit zu arbeiten?

Aufgaben in einer 2er-Konstellation zu erledigen, ist weiter verbreitet als mir vor diesem Artikel klar war.  Neben der Liebe und der Erziehung fallen mir viele schöne Fälle ein. So haben wir Menschen z.B. zwei Augen, um nicht nur zwei-, sondern auch dreidimensional sehen zu können. Wir gewinnen durch die Doppelung eine komplett neue Dimension hinzu. Flugzeuge werden von einem Piloten und einem Co-Piloten geflogen, wobei der erste die Verantwortung trägt. Geflogen wird abwechselnd und der jeweils andere erledigt die sonstigen Aufgaben. Beeindruckend sind auch Rallye-Fahrer-Paare: während der eine bei rasendem Tempo Fahr- und Navigationskommandos gibt, lenkt der andere bei maximaler Geschwindigkeit das Auto und verlässt sich blind auf die Ansagen des Partners. Polizisten gehen immer zu zweit auf Streife, damit immer einer Good-Cop und einer Bad-Cop spielen, einer dem anderen Kaffee mitbringen oder zur Not als Zeuge und Unterstützer agieren kann. Auch Scharfschützen arbeiten immer als 2er-Team: einer spottet, der andere drückt ab. In der Programmierung gibt es das sogenannte Pair-Programming. Zwei Entwickler sitzen an einem Computer und coden gemeinsam. Derjenige an der Tastatur übernimmt das tatsächliche Programmieren, die andere Person behält den Überblick und die Kontrolle des Codes. Was sich so in der Welt bewährt, kann also auch in Workshops nur richtig sein.

„Co-Moderation ist der Königsweg”

Um noch tiefer in das Thema einzutauchen und weitere Perspektiven kennenzulernen, habe ich mich bei einigen anderen Moderations-Experten-Kollegen umgehört, wie sie so auf das Thema Co-Moderation blicken:

Jens Kapitzky von Metaplan sagt dazu z.B.:

Jens Kapitzky Metaplan„Wer als Moderator oder als Moderatorin eine Co-Moderation zur Verfügung hat, dessen Arbeit wird nicht nur leichter, sondern auch besser.

Bei der Vorbereitung denkt man nicht nur über die Anlage und den Verlauf eines Workshops nach, man spricht auch darüber – und im Gespräch kommen regelmäßig Aspekte heraus, die man sich allein nicht erschließt.

Im Workshop selbst bleibt mehr Energie für die Hauptaufgabe: die auf das gesetzte Ziel hinarbeitende Interaktion mit den TeilnehmerInnen. Denn viele Aufgaben, die sonst auch beim Moderator liegen, kann der Co-Moderator übernehmen. Bei Bedarf steht ein Gesprächspartner mit eigenen Beobachtungen und Deutungen des Workshop-Geschehens zur Verfügung, mit dem sich Verlauf und Dynamik der Veranstaltung ebenso reflektieren lassen wie etwaige Änderungen oder Ergänzungen. 

Die Nachbereitung wird genauer und reflektierter: Die Sicht des agierenden Moderators/der agierenden Moderatorin wird durch eine beobachtende Sicht ergänzt.”

Joseph Seifert von Moderatio meint:

Josef Seifert Moderatio„Co-Moderation bedeutet, dass zwei Personen eine Gruppe leiten. Vor einer Co-Moderation sollten a) die Rollen und b) die Art der Zusammenarbeit geklärt werden! Der Co-Moderator kann etwa in den Rollen „Assistent“, „Schüler“ oder „Co-Pilot“ tätig werden. Die Art der Zusammenarbeit kann gleichberechtigt (symmetrisch) oder in einer hierarchischen / sich ergänzenden Konstellation (komplementär) gestaltet werden. Dabei sollte – auch in einer komplementären Zusammenarbeit – das Miteinander auf Augenhöhe stattfinden. Einen Sonderfall der Co-Moderation, das Moderieren durch ein Moderatoren-Team, findet man häufig in der Großgruppenmoderation.”

Vielen Dank auch an Anja Ebers für das Intro!

Und Holger Scholz von den Kommunikationslotsen:

Holger Scholz Kommunikationslotsen„Der Königsweg ist zu zweit. Beide sind sozusagen „Co“. Und im besten Fall gibt es da auch kein Gefälle zwischen beiden, denn beide sind „Modell“ für die Beteiligten. Wir Lotsen arbeiten gerne auch noch mit einem dritten „Co“ – das ist ein „Body Facilitator“, der embodiment im Fokus hat und lernen und verstehen auf anderen Ebenen ermöglicht. Alle „Cos“ übernehmen Führung und sind temporär im Lead. Diese Arbeitsweise ermöglicht unterschiedliche Beziehungsangebote. Und das ist spannend. Das ist oft der Unterschied zwischen Methode und Magie.“

Zusammengefasst lauten die Vorteile einer Co-Moderation:

  • Wir haben in der Vorbereitung jemanden zum Reden und durch die gemeinsame Reflektion des Vorgehens werden Dinge klarer.
  • Wir haben immer einen Sparringspartner im Workshop, mit dem das Improvisieren leichter fällt und mit dem man sich spontan austauschen kann, wenn Dinge anders laufen als geplant.
  • Wir stehen bei Gruppenarbeiten immer mit zwei Ansprechpartnern zur Verfügung und sind dadurch für die Teilnehmenden präsenter.
  • Wir können mehr personelle Abwechslung in die Moderation bringen und können damit dazu beitragen, den Workshop dynamischer zu gestalten.
  • Wir können Good-Cop/Bad-Cop spielen und darüber leichter und spielerischer Dissonanzen offenlegen.
  • Wir können uns die organisatorischen Dinge aufteilen und dadurch das Auf-, Um- und Abbauen schneller erledigen.

Welche Co-Moderator-Rollen gibt es denn nun?

Um das Ganze noch etwas genauer zu verstehen, möchte ich vier verschiedene Rollen der Co-Moderation skizzieren:

A. Die klassische Rolle

Der klassische Co-ModeratorKlassischerweise bist Du als Co-Moderator Deinem Moderator untergeordnet. Es gibt ein klares Hierarchiegefälle. Der Moderator ist an der Moderationswand und interagiert mit den Teilnehmern. Du als Co bist für das Schreiben der Post-Its oder Karten zuständig, die Deine Moderatorin Dir idealerweise diktiert. In dieser Rolle musst Du Dich voll auf Deine Moderatorin konzentrieren und verfolgst die Diskussion inhaltlich nicht weiter. Wenn Du nicht schreibst, bereitest Du die nächste Session vor, hängst Poster um, klebst still und heimlich schon mal die bisherigen Poster oder räumst auf.

Diese Rollenaufteilung macht Sinn, wenn schwierige plenare Diskussionsrunden zu erwarten sind und Du eine starke Moderatorin brauchst. Außerdem eignet sie sich gut, wenn Du als Moderator noch eher unerfahren bist (Schüler) oder Moderator und Co-Moderator nicht gut aufeinander eingespielt sind.

B. Die gleichberechtigte Rolle

Der gleichberechtige Co-ModeratorBei dieser Rollenaufteilung sind Haupt- und Co-Moderator auf Augenhöhe. Beide machen alles, auch wenn einer im Lead ist. Sprich: Meine Moderatorin stellt eine Frage und gibt nicht genug Kontext, dann grätsche ich als Co rein und ergänze. Wenn die Diskussion schnell läuft und es viel zu notieren gibt, schreiben wir beide. Wie bei einer guten Raumdeckung beim Ballsport ruft man sich zu „Hab ich”. „Mach Du.”

Gleichberechtigung eröffnet auch mehr Freiräume für Workshop-Gestaltung, zum Beispiel die Durchführung paralleler Tracks: Im Gegensatz zu einer Gruppenarbeit gibt es zwei unterschiedliche Themenstränge, die erst nach einer längeren Phase wieder zusammengeführt werden. Dann betreut und moderiert der eine die eine Gruppe. Du als Co-Moderatorin verbringst die Zeit mit der zweiten Gruppe.

Diese Rollenaufteilung macht viel Spaß, erfordert aber viel gegenseitiges Vertrauen und ein eingespieltes Team. Eure Teilnehmer müssen es aushalten können, dass vorne zwei Moderatoren rumturnen, die sich ergänzen und auch mal widersprechen. Und die Post-Its werden am Ende beim Bier gemeinsam auf den Postern festgeklebt.

 

C. Die komplementäre Rolle

Der komplementäre Co-ModeratorDie komplementäre Rolle gibt es in zwei Ausprägungen. Komplementär-untergeordnet oder komplementär-gleichberechtigt. Das Wesentliche ist: die Kompetenzen der Moderatoren / Moderatorinnen sind sehr unterschiedlich. Holger spricht dies oben z.B. bei dem „Co” für Embodiment an. Für mich am prägnantesten ist die Zusammenarbeit mit visuellen Facilitatoren. So ist ein Graphic Recorder, also jemand, der „nur” die Diskussionen und Vorträge visualisiert, komplementär untergeordnet. Ein Graphic Facilitator, der auch aktiv moderiert und die Diskussionen und Dynamiken der Gruppe führt, wäre komplementär-gleichberechtigt.

Komplementäre Rollenaufteilungen sind im Idealfall wunderbar, weil alle sich gegenseitig bereichern und Du als Moderator viel von Deiner Co lernst. Solche komplementären Beziehungen muss man jedoch erst aufbauen und sie müssen sich einspielen. Sie brauchen noch mehr gegenseitiges Vertrauen als „normale” Co-Moderationsverhältnisse. 

D. Die emanzipierte Rolle

Der emanzipierte Co-ModeratorIn dieser Rolle hast Du als Co-Moderatorin quasi Carte Blanche und kannst machen, was der Sache zuträglich ist: zuhören, moderieren, als „externer Teilnehmer” interagieren. Statt die Diskussion minutiös zu dokumentieren, sammelst Du nur die wichtigsten Punkte und gibst am Ende eine knappe Zusammenfassung. Als stiller Beobachter bietest Du zum Ende der Session abschließende Empfehlungen an. Wenn sich die Diskussion festfährt, bietest Du einen Ausweg an. Du kannst im Diskussionsverlauf auch die Leitfrage verändern, wenn Du damit der Diskussion eine neue Richtung geben willst. Viele dieser Aufgabe könnte auch die Moderation übernehmen. Gerade in schwierigen Situationen ist man als Moderator und Moderatorin aber voll damit beschäftigt, die Fäden zusammenzuhalten und läuft Gefahr andere Perspektiven aus dem Auge zu verlieren.

Das Schöne an dieser Rolle ist: niemand erwartet etwas von Dir und wenn Du nichts machst, vermisst niemand etwas. Das Blöde: man muss Dir zugestehen, entsprechend frei zu agieren und es kann passieren, dass Deine Interventionen nicht akzeptiert werden. Sie erfordern von Dir daher einiges an Improvisationstalent, Auffassungsgabe und Mut. Du musst auf den Punkt sein und nicht erst nach Worten suchen. Das Wichtigste aber ist: Dein Moderator muss es aushalten, dass Du so frei flottierst und ihm bzw. ihr ggf. auch mit Deinen Aktionen in die Parade fährst.

Fazit

Normalerweise wirst Du ähnlich wie wir von Session zu Session zwischen diesen Rollen hin- und herspringen. Ich finde es sehr spannend, sich noch stärker mit den Rollen der zweiten Moderation zu beschäftigen, diese bewusster auszufüllen, die Spielräume weiter auszuloten und insbesondere die Rolle des emanzipierten Co-Moderators noch gezielter auszugestalten. Beim Schreiben dieses Artikels habe ich große Lust bekommen, mal mit jemandem zu arbeiten, der komplett anders an Gruppen herangeht. Und mir ist wieder einmal aufgefallen, wie glücklich ich bin, mit zwei so tollen Moderationsprofis wie Dirk und Valentin zusammenarbeiten zu dürfen.

Mit uns co-moderieren?

Neben diesen schöngeistigen Gedanken gibt es aber bei uns eine ganz reale Notwendigkeit, sich anders mit der Co-Moderation zu beschäftigen: Wir stoßen neuerdings des Öfteren an Kapazitätsgrenzen und beginnen uns zu fragen, mit wem wir noch in eine gemeinsame Moderation gehen können. Wenn Du Lust hast, mal mit uns als Co-Moderator/in zu arbeiten, dann schreib uns doch in einer kurzen Email wie Du diese Rolle mit uns ausfüllen würdest und in welchem Setting wir so etwas einmal ausprobieren könnten.

Jörg Jelden

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