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Team oder Gruppe? 5 Faustformeln für die Moderation

Team-Gruppe-Teilnehmer

Die Settings und Ausgangslagen meiner Projekte sind oft sehr unterschiedlich: Verschiedene  Branchen und Ansprechpartner  aus unterschiedlichen Abteilungen. In allen Projekten bin ich dafür verantwortlich, eine gute, effiziente und ergebnisreiche Zusammenarbeit zu gewährleisten. Dafür muss ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Mit diesem ersten Post möchte ich aufdröseln, welche Formen von Teilnehmerkreisen es gibt, und fünf Faustformeln vorstellen, die mir in der Workshop-Gestaltung helfen. Ein weiterer zu Meetings, Trainings und Workshops wird folgen.

Jede Moderation beginnt mit einem Anruf oder einer Email. Es gibt aber immer ein oder zwei Personen, die etwas gestalten wollen und die Mitarbeit und Unterstützung anderer brauchen. Von daher versuche ich zu Beginn eines Prozesses zu klären, wer noch mitwirken soll und wie das Verhältnis der Personen untereinander ist. Ist es ein festes Team oder eine Gruppe von Führungskräften? Arbeiten sie regelmäßig und vertrauensvoll zusammen oder ist die Zusammenarbeit eher sporadisch oder gar schwierig? Dabei nähere ich mich in zwei Stufen. In der ersten Stufe versuche ich ein Grobverständnis über diese Fragen zu gewinnen. Anschließend steige ich tiefer ein. Diese Klärungen helfen mir, die richtigen Einstiege zu finden, die richtigen Tools für Vertiefungen auszuwählen, gute Fragen zu stellen und einzuschätzen, was beim Action Planning am Ende möglich ist. Kurz: zu wissen, mit wem man es zu tun hat, ist ein wichtiger Baustein, um eine gute Dramaturgie zu entwickeln.

Stufe 1: Team, Gruppe oder Teilnehmer?

  • Team: Die Teilnehmer arbeiten regelmäßig zusammen an einer Aufgabe und kennen sich zumindest in Teilen gut bis sehr gut. Moderationen von Teams betreffen Themen jenseits der Komfortzonen und des Tagesgeschäfts. Valentin hat hier z.B. Spannungen und Konflikte zwischen Team und Vorgesetzten moderiert. Diese Konflikte gehen häufig mit hakenden oder unklaren Prozessen, unklaren Rollenverteilungen, einer inhaltlichen Neuausrichtung oder Ähnlichem einher. Ich habe mit Teams nach einer Sanierungs- und großen Entlassungswelle gearbeitet, die alle Mitglieder in Erstarrung versetzt hatte. Mein Moderationsauftrag zielte darauf ab, den Blick des Teams wieder nach vorn zu richten. Die Arbeit mit Teams oder auch Team-Entwicklung ist ein ganz eigener Kosmos, der wissenschaftlich gut untersucht ist. Die meisten sind wohl schon mal mit Tuckmans Team-Phasen-Modell in Berührung gekommen. Auch viele Moderatoren und Facilitatoren sind auf die Arbeit und Entwicklung von Teams ausgerichtet. Allerdings ist nicht alles Team, wo Team draufsteht. Wenn die Mitglieder zwar formal ein Team sind, ihre täglichen Aufgaben aber sehr unterschiedlich sind und es keine gemeinsame Aufgabe, Projekt, … gibt, dann ist es für mich als Moderator eher eine Gruppe als ein Team.
  • Gruppe*: Bei Gruppen sind die Teilnehmer im Gegensatz zum Team loser gekoppelt. Sie verbindet etwas Gemeinsames. Sie arbeiten z.B. im gleichen Unternehmen, aber in unterschiedlichen Abteilungen oder sie arbeiten im gleichen Bereich, aber in unterschiedlichen Abteilungen. Die fachlichen Ansichten der Teilnehmer gehen zumindest teilweise auseinander. In der täglichen Arbeit haben die Teilnehmer z.T. relativ wenig Überschneidungspunkte. Die meisten meiner Workshops finden mit solchen Gruppen statt. Es geht dann um Themen wie die Entwicklung einer gemeinsamen Vorstellung, die Einschwörung der Gruppenmitglieder auf ein gemeinsames Vorhaben oder die gemeinsame Entscheidung für ein bestimmtes Vorgehen. Ich habe z.B. bei einem mittelständischen Handelsunternehmen die Neuausrichtung des CRM begleitet. CRM lag zwischen vier verschiedenen Abteilungen. Ziel des Workshops: Die Beteiligten sollen sich auf ein gemeinsames Ziel und Vorgehen einigen, um anschließend einen gemeinsamen Projektantrag bei der Geschäftsführung zu stellen. Aktuell befindet sich das Unternehmen in der Umsetzungsphase.
  • Teilnehmer: Bei der dritten Form sind die Teilnehmer so lose gekoppelt, das man nicht mehr von einer Gruppe sprechen kann. Die wenigsten Teilnehmer kennen sich. Aber alle verbindet ein gewisses gemeinsames Interesse oder ein Thema. Das Interesse an den anderen Teilnehmer ist eher oberflächlich. Sie kommen vielleicht nur ein- oder zwei Mal zusammen. Das Hier und Jetzt, das Wissen und die gemachten Kontakte sind wichtiger als Maßnahmen. Werden Maßnahmen entwickelt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese hinterher versanden und nicht nachgehalten werden. Ich habe das etwa in Form von Expertenrunden, Fokusgruppen, Think-Tanks, offenen Seminaren, Konferenzen oder Meet-Ups kennengelernt. Meine Moderation verfolgt dann den Zweck, den Austausch der Teilnehmer anzuregen, Netzwerke zu bilden und das Thema mit den Beteiligten weiterzuentwickeln.

Niels Pflaeging und Silke Hermann haben in ihrem sehr lesens- und sehenswertem Buch „Komplexithoden“ eine schöne Übersicht über den Unterschied von Teams und Gruppen sowie zu Team-Kompositionen, Koalition für den Wandel, …

Komplexithoden - Team

Stufe 2: Welche Besonderheiten gibt es?

Wenn ich grob weiß, was für eine Art der Moderation ich vor der Brust habe, versuche ich tiefer einzusteigen. Häufig entdecke ich diese besonderen Konstellationen erst über aufmerksames Hinhören und Beobachten oder auch zufällig. Diese verborgenen Schwierigkeiten sind dann häufig auch der Grund, warum ich als externer Moderator hinzugezogen werde.

  • Virtuelles & asynchron arbeitendes Team: Die Teilnehmer arbeiten zwar regelmäßig zusammen, sehen sich aber selten bis nie physisch. Dadurch ist weniger Raum für den Aufbau von Vertrauen und sonstigen Austausch vorhanden. Der Kitt in diesen Teams ist brüchiger. Einen schönen Erfahrungsbericht gab es kürzlich dazu auf Produktbezogen. Noch schwieriger wird es, wenn lediglich einzelne Teammitglieder virtuell mitarbeiten. Z.B. weil sie im Homeoffice oder in einem anderen Land oder an einem anderen Standort sitzen. Als Moderator achte ich dann noch mehr darauf, dass alle ausreichend Gehör finden und baue ein längeres Warm-Up sowie Elemente ein, die den gemeinsamen Kitt stärken. Das können z.B. gegenseitige Kurzinterviews sein, in denen es darum geht, etwas von dem anderen zu erfahren, was die anderen noch nicht wissen.
  • Viele neue Teammitglieder: Nicht nur in schnell wachsenden Startups, sondern auch in etablierten Unternehmen habe ich die Situation erlebt, mit einem Team zu arbeiten, in dem es sowohl alt-eingesessene als auch sehr viele neue Mitglieder gibt. In der Moderation ähneln diese Konstellationen dann eher einer Gruppe, obwohl sie vielleicht das Label „Team“ tragen. Hier geht es dann häufig darum, zunächst eine gemeinsame Basis zu erarbeiten und die Mitglieder arbeitsfähig zu machen.
  • Viele neue Gruppenmitglieder: Nach größeren Umbrüchen gibt es ab und zu die Situation, dass eine Gruppe zu einem Workshop zusammenkommt, die so noch nie zusammengearbeitet haben. Viele Gruppenmitglieder sind neu im Unternehmen oder neu in ihrer jeweiligen Verantwortung. Das gegenseitige Vertrauen ist gering ausgeprägt und die Teilnehmer haben Schwierigkeiten, Zusagen zu machen, weil sie sich selbst noch einen Überblick verschaffen und sich selbst zunächst ein Standing erarbeiten müssen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man hier mit gemeinsamen Zielen nur bedingt weiterkommt. Stattdessen geht es eher um Sondierungen von Themen, die zukünftig auf eine gemeinsame Agenda kommen könnten. Man sucht nach Common Ground, statt neue Wege zu planen.
  • Brüchige Gruppe: Wenn der Anteil derer sehr hoch ist, die in sehr naher Zukunft das Unternehmen oder die Gruppe verlassen werden, Angst vor einem Ausscheiden haben oder sich gegenseitig mißtrauen, rücken individuelle Perspektiven und Interessen nach vorne. Es wird in solchen Konstellationen schwierig voraus zu planen. Sogar einfachste Dinge wie das Einhalten von Pausenzeiten werden hier schwierig. Ich habe es dann auch erlebt, dass basalste Diskussions-Etiquette ausfällt und Teilnehmer beginnen in großen Runden Einzelgespräche zu führen und sich kaum einfangen lassen. Hier ist man als Moderator stark gefragt, muss den Teilnehmern Lust (und zum Teil auch Mut) machen, sie an die Hand nehmen und in allerletzter Konsequenz auch offen die Sinnfrage der aktuellen Zusammenarbeit stellen. In den Fällen, wo so etwas passierte, konnte ich die Teilnehmer wieder einfangen und es wurden Maßnahmen-Ideen entwickelt. Aber es war klar, dass diese in der aktuellen Situation keine Umsetzung finden werden. Die Stabilisierung und Neuausrichtung der Gruppe war das eigentliche Ziel.

Im Ergebnis heißt das: Ein Workshop soll zwar inhaltliche Themen voranbringen. Am Ende sind es aber die Menschen, die zusammen arbeiten oder entscheiden müssen. Von daher versuche ich die Beziehungen der Personen bei der Vorbereitung und Durchführung immer mitzudenken.

Meine Faustformeln dafür heißen:

  1. Je weniger sich die Teilnehmer kennen, desto mehr Zeit braucht es eine Vertrauensbasis herzustellen.
  2. Je besser sich die Teilnehmer kennen, desto wichtiger wird es, die Teilnehmer aus ihren Komfortzonen zu bringen, um ein festes Gefüge in Bewegung zu bringen.
  3. Je loser die Gruppe gekoppelt ist, desto schwieriger wird es, sich auf gemeinsame Maßnahmen zu einigen.
  4. Je geringer das Gesamtinteresse ist, desto wichtiger werden Quick-Wins in Form von Wissen, Erlebnissen oder Kontakten sowie der Workshop an sich.
  5. Je größer das Ungleichgewicht zwischen einzelnen Personen und den anderen, desto stärker muss man im konkreten Dialog darauf achten, dass alle Teilnehmer mitgehen.

Wenn Du selbst in einer solchen oder ähnlichen Situation etwas bewegen musst, biete ich Dir ein kostenloses telefonisches Sparring an. Ich freu mich auf Deinen Anruf!

 

* Großgruppen habe ich hier bewußt ausgeklammert, weil dies ein ganz eigener Bereich ist, in den ich noch einmal getrennt einsteigen will. 

 

Jörg Jelden

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