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Aus aktuellem Anlass: ein Gedankenspiel zur Moderation von Koalitionsverhandlungen

Moderation-Koalitionsverhandlungen

In diesen Tagen wird naheliegenderweise ausgiebig über die Bildung einer neuen Koalition, vermeintlich rote Linien und Gemeinsamkeiten gesprochen. Auch bei uns im Büro war das ab Montag und auch heute Morgen wieder so – verlängert in vereinzelte Diskussionsstränge auf Facebook. Diese scheinbar verzwickte Lage erinnerte uns unversehens an Situationen mit denen wir in unserem Projekten regelmäßig konfrontiert sind – der Auslöser eines Gedankenspiels. Weil wir diese Überlegungen wirklich nicht unspannend fanden, habe ich da mal schnell ein paar Sätze zu ausgeführt. Nämlich die hier folgenden. Unzulässig schnell geschossen, sicher naiv – aber warum eigentlich nicht?

Unsere Komfortzone verlassen?

Wenn wir Workshops und längere Prozesse für Kunden leiten, geht es im Kern meist um die gleichen Dinge: Komplexität aufarbeiten, Sichtweisen und Ideen aus verschieden großen und diversen Gruppen herausschälen, Handlungsoptionen sondieren, Chancen und Risiken bewerten und letztlich immer und vor allem: ins Handeln kommen.

Dabei geht es zum Beispiel um strategische Fragestellungen, um Innovationsprozesse, um die Zusammenarbeit von verschiedenen Abteilungen. Für Konzerne, für mittelständische Unternehmen, manchmal auch für Stiftungen oder NGOs. Unsere Arbeitsweise spielt dabei immer auf der Frage des “Wie?”, das heißt: unsere Begleitung funktioniert branchenunabhängig und auch die Zahl der Beteiligten spielt eine untergeordnete Rolle.

Die Ausgangslage: der Ball liegt auf dem Feld

Soweit so gut. Nun hat die Bundestagswahl ein absehbares Beben ausgelöst und der Ball zur Bildung einer neuen Regierungskoalition wurde mit viel Drall ins Spielfeld geschossen und liegt da nun zwischen den Teams von CDU/CSU, FDP und Grünen. Die müssen den Ball jetzt irgendwie aufnehmen, ausloten, ob sie sich auf ein gemeinsames Spielsystem einigen können, dann irgendwann eine Startelf benennen – und viele Details vom Cheftrainer, über die sportliche Leitung bis hin zum Ärztestab klären. Dabei gibt es Zielkonflikte: Gemeinsam muss es um die Champions League gehen. Gleichzeitig will jedes Team für sich alleine den Klassenerhalt sichern.

Genug mit der kruden Ballsport-Metapher: Wie es auch gedreht und gewendet wird – das ist ein großes Unterfangen. Beladen mit Komplexität, vermischten Sach- und Personenebenen, aufgepumpt mit Emotionen und schwer zu vereinenden Zielen bei den Inhalten. Würde ein Kunde mit so einer Ausgangslage konfrontiert, wäre unser Auftrag den Prozess so zu gestalten, dass es effektiv auf ein Ziel zugeht.

Wie laufen Koalitionsgespräche ab?

Wie laufen nun aber Koalitionsverhandlungen eigentlich ab? Feste Vorgaben für ein Verfahren gibt es nicht.

Ich vermute, dass in den Parteien zunächst Positionspapiere aufgesetzt werden, mit denen jede Gruppe vorab schon mal die eigenen Positionen zementiert, dann wird es vor allem unmoderierte Sitzungen in verschiedenen Personenkonstellationen geben, in denen es schnell um Inhalte, aber weniger um den Prozess geht, in denen es mehr um kompetitives Verhandeln geht als um kooperatives Vordenken. Kurz: Ich stelle mir gerade vor, wie sich die Parteien gegenübersitzen und in strukturlosen Diskussionen um Kompromisse feilschen. Und ich frage mich, ob es nicht bessere Möglichkeiten gäbe, gemeinsam Visionäres anzugehen. Ich stelle mir vor, wie sich die Stimmung aufheizt und ich frage mich: Gibt es eigentlich eine dezidierte Moderations-Rolle? Gibt es jemanden, der das Gespräch „neutral“ strukturiert?

Moderation-Koalitionsverhandlungen

Moderation bei den Koalitionsgesprächen?

Sicher, es wird trotzdem wieder genau so ablaufen, wie es bisher abgelaufen ist. Und es wird funktionieren, weil es so gelernt ist. Aber könnte es nicht besser gehen? Ich möchte hier gar nicht mit fundamentaler Kritik an Wirkmechanismen von Gremienarbeit anfangen (auch wenn das vielleicht angebracht wäre). Zumindest in der Wirtschaftswelt steht für mich fest:  In Sachen Ergebnis und Prozesszufriedenheit schlägt jeder gut moderierte Workshop jedes beliebige Verfahren, das sich aus der Erstellung von Unterlagen wie Powerpointpräsentationen und deren Diskussion in  unstrukturierten Meetings zusammensetzt.

Wäre es denkbar, das in die Politik zu übertragen? Was wäre, wenn die Parteien sich zunächst auf die Mittel und Schritte des Prozesses einigen würden? Man sich gleichzeitig für eine neutrale Moderation von außen entscheiden würde, deren Aufgabe es dann ist, die anstehenden Abstimmungen und Annäherungen zu moderieren, vor allem aber eine Dramaturgie für die Art und Weise zu erarbeiten, wie die gemeinsame Zeit gestaltet sein wird.

Moderierter Prozess statt Hinterzimmer-Gespräch?

Weiter im Gedankenspiel und mal im Konkreten: Ich stelle mir es in der Realität so vor, dass die potentiellen Partner gemeinsam in einem Hinterzimmer sitzen und Themen besprechen. Dabei wird es vielleicht jemanden geben, der Wortmeldungen sortiert und moderiert. Dennoch wird dort meist der laut sein, der eh laut ist. Wenn es um die Lösung eines Problems geht, wird vermutlich entweder ein recht unstrukturierter, gesprochener Schlagabtausch stattfinden oder das Problem wird vertagt und erst mal mit in ein anderes Gremium genommen.

Was wäre, wenn in diesem Moment ein anderer Prozess stattfinden würde? Was, wenn zum Beispiel in heterogen besetzten Kleingruppen nach einer einfachen Methode wie 1-2-4-all eine Problemanalyse und Lösungsansätze erarbeitet werden würden? Es würde also erst mal jeder für sich den Gedanken freien Lauf lassen, es dann in einem Tandem besprechen, dann in der Kleingruppe und dann mit der Gesamtheit der Anwesenden teilen. Bevor es also hart um die Parteigrenzen ginge, würden schon im ganz Kleinen parteiübergreifend Analysen und Ideen ausgetauscht. Was wäre also, wenn Gesprächsverlauf und Argumente schriftlich fixiert und visualisiert würden? Das verlangsamt zwar die Diskussion, aber es zwingt auch zum Reflektieren. Was wäre, wenn man in die Verhandlungen einfach zu Anfang eine „Pre-Mortem“-Übung einbauen würde: Die Verhandlungen sind gescheitert. Wie konnte es dazu kommen? Welche Schritte haben zum Scheitern geführt? Und was können wir jetzt tun, um das zu verhindern? Sowas würde doch direkt zu einer anderen Diskussionskultur führen, oder nicht?

Moderation-Koalitionsverhandlungen

Das ist nur ein kleines Beispiel, aber ist es nicht eine spannende Frage, was das verändern würde?

Klar ist, dass es ein stabiles gemeinsames Ziel geben müsste (“Ja, wir wollen das zusammen schaffen”) und bei allen Teilnehmern ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Zusammenraufens da ist. Klar ist auch, dass es Übereinkunft über Aspekte geben müsste, die im harten Politikbetrieb schwer vorstellbar sind. Zum Beispiel die Offenheit, dass ich einen Gedanken äußern darf, ohne dass dieser mit Parteikollegen besprochen ist und keine Seite sich später anstellen darf, wenn ich den Gedanken vielleicht wieder zurückziehen möchte.

Wahrscheinlich reine Utopie

Es ist wahrscheinlich utopisch. Vielleicht ist es auch abwegig. Auf einen Versuch würde ich es dennoch auf jeden Fall ankommen lassen. Selbst die Hinterzimmergespräche, bei denen Posten verschachert und Machtpositionen erobert und verteidigt werden, würden es sicher gut vertragen, wenn sie moderiert werden würden. Wahrscheinlich werden wir es nie herausfinden.

Wenn jemand von euch mehr weiß und zum Beispiel sagen kann, “hey, Moment mal, genauso läuft das doch schon”, dann freue ich mich sehr über Rückmeldungen.

Neue Formate im politischen Umfeld

Auf den von mir mit initiierten Save Democracy Camps haben wir das Barcamp-Prinzip auf die Zeit nach dem Trump-Schock übertragen – weil wir versuchen wollten, neue Formen der politischen Initiative und des persönlichen Engagements zu bieten. Auch wenn das ein ganz anderes Spielfeld war, hat der Versuch gut funktioniert. Was natürlich auch daran lag, dass wir viele Teilnehmer hatten, die hungrig nach neuen Formaten in der politischen Partizipation sind. In einem Prozedere, das maximal alle 4 Jahre durchgeführt wird und in dem es keine zweite Chance gibt, ist es freilich ungleich schwerer, neue Wege zu gehen.

Wenn sich Parteien allerdings darauf einlassen wollten, wüsste ich jedenfalls ein Moderations-Team, das bestimmt ansprechbar wäre.

*zwinkersmiley*

 

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Valentin Heyde
Kategorie: Standpunkte

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Als Berater und Moderator arbeitet Valentin Heyde an der Schnittstelle von Strategie, Innovation und Organisationsentwicklung. Er berät Mittelständler, Konzerne, Startups und Einzelpersonen wie CEOs oder Stifter. Berufstätig seit 1997, arbeitete er fünf Jahre als freiberuflicher Journalist für das FOCUS Magazin, produzierte Web-TV-Shows für AOL Deutschland und wechselte 2003 dann in die PR- und strategische Kommunikationsberatung. Gute Geschichten und Storytelling sind ihm ein Herzensthema, das er unter anderem als Dozent an der Hamburger Akademie für Publizistik weiter gibt. Valentin Heyde ist Diplom-Politologe, Fotograf und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Hamburg. Kontakt auf Linkedin

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